2012

7. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2012 zum Thema »Beschäftigtendatenschutz in der Reform«

»Privatheit ist der Kern persönlicher Freiheit. Wir setzen uns für eine Verbesserung des Arbeitnehmerdatenschutzes ein und wollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Bespitzelungen an ihrem Arbeitsplatz wirksam schützen.« Diese Vereinbarung trafen CDU und FDP bereits in ihrem Koalitionsvertrag vom Oktober 2009. Hintergrund waren mehrere Bespitzelungsskandale bei großen Unternehmen. Geändert hat sich seitdem wenig. Der Mitte Dezember in den Deutschen Bundestag eingebrachte Gesetzentwurf zum Beschäftigtendatenschutz wurde vor allem von Gewerkschaftsseite scharf kritisiert. Ob er mit den Änderungen durch den Referentenentwurf vom 11. Januar 2012 den Bundestag passieren wird, ist offen. Mitglieder des zuständigen Innenausschusses gehen aber von einem Beschluss im zweiten Quartal 2012 aus, so dass das Gesetz noch Anfang 2013 in Kraft treten könnte. Grund genug, das Thema zum Gegenstand des 7. Mannheimer Arbeitsrechtstags zu machen. Unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann diskutierten die rund 200 Teilnehmer das vielschichtige Themenspektrum, das durch den von der EU-Kommission Anfang des Jahres präsentierten Entwurf einer Datenschutz-Grundverordnung eine unionsrechtliche Dimension erfahren hat.
Prof. Matthias Bäcker, Universität Mannheim, zeigte gleich zu Beginn der Tagung den verfassungs- und unionsrechtlichen Kontext der aktuellen Datenschutzdebatte auf. Im Fokus stand die Frage, inwieweit die geplante EU-Verordnung überhaupt noch Raum für die umfassende Grundrechtsdogmatik des BVerfG in diesem Bereich lässt. Da die Europäische Union alle Einzelheiten detailliert regeln möchte, werde das EU-Recht sogar das deutsche Verfassungsrecht verdrängen. Nur für den Beschäftigtendatenschutz lasse der geplante Art. 82 Spielraum für nationale Alleingänge. Unklar bleibe aber, welches Gericht letztlich über den Datenschutz wachen werde: das BVerfG, der EuGH oder gar der EGMR. Bild_Referent
Bild_Referent Dr. Gerrit Forst, Universität Bonn, analysierte sodann den Anwendungsbereich des geltenden sowie des geplanten Beschäftigtendatenschutzrechts. Ausführlich diskutierte er die Frage, ob der Arbeitnehmer in allfällige Erhebungen seiner Daten einwilligen könne. Der These, derartige Einwilligungen könnten wegen der strukturellen Unterlegenheit des Arbeitnehmers niemals freiwillig ein, erklärte er eine deutliche Absage. Maßgebend müsse sein, wie stark die Datenerhebung die Persönlichkeitssphäre des Arbeitnehmers berühre. Zudem sei die Einwilligung nur an milde Formerfordernisse geknüpft. Da die noch geltende Datenschutz-Richtline nur eine »eindeutige« Erklärung verlange, sei die Textform (z.B. Intranet) ausreichend; schlüssiges Verhalten des Arbeitnehmers genüge allerdings nicht.
Dr. Ulrike Fleck und Jürgen Zierke, BASF SE Ludwigshafen, zeigten, welche datenschutzrechtlichen Hürden im Bewerbungsverfahren zu überwinden sind. Dass der Gesetzgeber wiederholt auf eine an das AGG angelehnte Verhältnismäßigkeitsprüfung verweise, führe ihres Erachtens zu Rechtsunsicherheit. Besser sei es, die Bewerber auf ein Online-Verfahren zu verweisen und vorab deren Einwilligung in die Erhebung und Verarbeitung ihrer Daten einzuholen. International agierende Unternehmen würde es auf diese Weise ermöglicht, Bewerbungsunterlagen im Rahmen eines »Alternative-Checks« an andere Konzerngesellschaften weiterzuleiten. Mit Skepsis beäugten die Referenten die scheinbar arbeitgeberfreundlichen Schlussanträge des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof zu einem Auskunftsanspruch des abgelehnten Bewerbers. Der Arbeitgeber werde Mühe haben, sich von den Diskriminierungsvorwürfen zu exkulpieren. Bild_Referent
Bild_Referent Im Anschluss daran erläuterte Frank-Martin Entzer, Konzerndatenschutzbeauftragter ABB Deutschland, dass für den Beschäftigtendatenschutz kein Konzernprivileg bestehe, was konzerninterne Datenflüsse, vor allem ins Ausland erheblich erschwere. Für die Übermittlung personenbezogener Daten zwischen verbundenen Unternehmen würden derzeit die gleichen Regeln wie zwischen fremden Dritten gelten. Folge sei, dass der Umgang mit personenbezogenen Daten bei grenzüberschreitenden Datenflüssen oft aufwändige rechtliche Konstruktionen erfordere.
RA Tim Wybitul, Kanzlei Hogan Lovells, Frankfurt, referierte nach der Mittagspause zu den Themen »Datenschutz, Social Media und Compliance«. Er verdeutlichte, dass Compliance ohne Datenschutz nicht möglich sei, aber umgekehrt Datenschutz auch ein Compliancethema sei. Compliancemaßnahmen müssten selbst »compliant« sein und vor allem den Datenschutz der Arbeitnehmer achten. Um Haftungsrisiken und Rufschäden abzuwenden, müssten Unternehmen Compliance als positive Präventionsstrategie begreifen und nicht allein auf Repression zu setzen. Bild_Referent
Bild_Referent Auf die brisante Rolle des Betriebsrats in puncto Datenschutz machte Prof. Michael Kort, Universität Augsburg, aufmerksam: Einerseits müsse er das arbeitgeberseitige Ausspähen von den Arbeitnehmern abwehren, andererseits müsse er auch selbst in seiner Neugier gebremst werden, was angesichts der Tatsache, dass der Datenschutzbeauftragte den Betriebsrat nicht kontrollieren dürfe, schwierig sei. Dass der Betriebsrat die Daten des Arbeitgebers auf der Grundlage von § 80 BetrVG umfassend einsehen darf, verhinderte jüngst das LAG Düsseldorf. Welche Rechte den Belegschaftsvertretungen im Datenschutzrecht zukommen, sei auch zwischen den Arbeits- und Verwaltungsgerichten umstritten. So werden dem Betriebsrat bei betrieblichen Eingliederungsmaßnahmen mehr Rechte zugesprochen als dem Personalrat. Kort favorisiert, datenschutzrechtliche Fragen in Betriebsvereinbarungen zu regeln. Er hofft, dass die künftige EU-Verordnung deren herausragende Bedeutung für den Datenschutz in der Praxis erkennen wird.
Zum Abschluss widmete sich Dr. Eberhard Natter, Präsident des LAG Baden-Württemberg, den prozessualen Konsequenzen eines verbotenen Datenumgangs. Seines Erachtens weiche das BAG die Grundsätze des BVerfG zur Verwertbarkeit heimlicher Videoaufnahmen zusehends auf. Letztlich werde der Arbeitgeber zu rechtswidrigem Verhalten veranlasst, wenn nach materiellem Recht verbotene Aufzeichnungen im Prozess doch verwertbar seien. Die Betriebsvereinbarung hält Natter nicht für ein geeignetes Instrument, um Beweisverwertungsverbote zu regeln. Schließlich sei nicht nur das Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers tangiert. Auch die Interessen der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Rechtspflege seien zu achten. Ein vom Arbeitnehmer nicht bestrittener Sachvortrag dürfe laut Natter nur nach den allgemeinen Grundsätzen der Beweisverwertung prozessual berücksichtigt werden, damit Beweiswertungsverbote nicht leerliefen. Diese im BDSG zu regeln, hält Natter hingegen für wenig sinnvoll. Die Regelung müsse so allgemein gefasst werden, dass sie der Praxis nicht einmal als Orientierungshilfe dienen könnte. Bild_Referent

 

Fazit:

Es bleibt abzuwarten, ob die geplante EU-Grundverordnung und der BDSG-Entwurf die komplexen Fragestellungen zum Beschäftigtendatenschutz praxisnah lösen werden. Die langwierigen Beratungen belegen, wie schwierig der interessengerechte Kompromiss ist.