2022

Bericht 16. Mannheimer Arbeitsrechtstag, 9. März 2022: »Arbeitsrecht nach Corona: New Normal oder weiter wie bisher?«

Die Corona-Pandemie hält die Arbeitswelt corona_new_normal zwei Jahre nach ihrem Ausbruch weiterhin fest im Griff. Wenngleich allmählich ein Ende der gesundheitlichen Risiken in Sicht ist, haben die Pandemie und der von ihr begünstigte, immer schneller voranschreitende digitale Wandel den betrieblichen Alltag nachhaltig verändert. Vor diesem Hintergrund diskutierten am 9. März 2022 namenhafte Vertreter aus Gerichtsbarkeit, Anwaltschaft und Wirtschaft unter der Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg) über aktuelle arbeitsrechtliche und datenschutzrechtliche Fragen. Damit meldete sich der Mannheimer Arbeitsrechttag nach einjähriger pandemiebedingter Pause im Online-Format zurück.

Zum Auftakt konstatierte Dr. Tobias Afsali (BWM Group), dass die Corona-Pandemie der Arbeit im Homeoffice einen mächtigen Schub verliehen habe, sich mittlerweile aber auch viele Probleme ergeben hätten. Mit dem Auslaufen der Rechtspflicht zur Arbeit im Homeoffice in § 28b IV IfSG zum 19.3.2022, die die Infektionsrisiken im Arbeitsumfeld minimieren sollte, bestehe grundsätzlich kein gesetzlicher Anspruch auf eine Arbeit im Homeoffice. Auch der Referentenentwurf des BMAS vom 14. Januar 2021 ändere daran nichts, sehe dieser doch lediglich einen mit § 8 TzBFG vergleichbaren Erörterungsanspruch vor. Dies hält Asfali für richtig, da rund um das Homeoffice noch zu viele Rechtsfragen ungeklärt seien. Eine freiwillige Einführung könne mit Blick auf die Anspruchshaltung vieler Arbeitnehmer für den Arbeitgeber dennoch vorteilhaft sein, sowohl zur Arbeitnehmergewinnung („war for talents“) als auch zur Arbeitnehmerbindung. Anhand von Beispielen aus der betrieblichen Praxis bei BMW verdeutlichte Afsali, dass zur Vermeidung von Risiken dann aber ein starker Fokus auf der korrekten Umsetzung liegen müsse. Dies gelte ganz besonders für das Homeoffice aus dem Ausland, bestünden hier doch rechtsgebietsübergreifende Problemfelder mit ungeklärten Rechtsfragen (z.B. die Steuerplicht des Arbeitnehmers oder potentielle Mehrkosten für Arbeitgeber und Arbeitgeber bei Sozialversicherungsabgaben).

Anschließend nahm sich Rechtsanwalt Professor Dr. Mark Lembke (Greenfort) mit Art. 15 DS-GVO einer der umstrittensten Materien des Datenschutzrechts an. Während die Praxis versuche, Auskunfts- und Kopieansprüche ordnungsgemäß zu erfüllen und mit deren „nuisance value“ zurechtzukommen, würden sich die Gerichte mittlerweile in allen Rechtswegen mit dem Inhalt, dem Umfang und den Grenzen dieser Ansprüche beschäftigen und sich Gedanken über mögliche Sanktionen bei deren Nichterfüllung machen. Lembke stellte aufgrund divergierender höchstrichterlicher Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Bundesgerichtshofs (BGH) die prozessuale Geltendmachung der Ansprüche aus Art. 15 DS-GVO in den Mittelpunkt seines Vortrags. Im Einklang mit dem BGH ist er der Ansicht, dass der Kopieanspruch Teil des Auskunftsanspruchs sei und ein Klageantrag auf Erteilung von Auskunft über alle personenbezogenen Daten mittels Zurverfügungstellung der jeweiligen Kopie genüge. Welche Kopien der Arbeitgeber zur Verfügung zu stellen habe, entscheide sich erst im Vollstreckungsverfahren. . Diese „materielle Lösung“ des BGH entspreche dem Willen des europäischen Gesetzgebers und werde auch dem Telos der DSGVO, wie er in Erwägungsgrund 63 niedergelegt sei, besser als die Lösung des BAG gerecht, das eine Stufenklage ins Spiel gebracht habe, weil ein Urteil auf Herstellung einer Kopie aller vom Arbeitgeber gespeicherten Daten viel zu unbestimmt sei und deshalb nicht vollstreckt werden könne.

Im Anschluss widmete sich Karin Spelge, Vorsitzende Richterin am Bundesarbeitsgericht, in einem spannenden Vortrag dem Personalabbau durch Aufhebungsverträge. Der Schwerpunkt lag auf dem „aus dem Dornröschenschlaf erwachten“ Gebot des fairen Verhandelns. Spelge betonte die Notwendigkeit dieser Rechtsfigur, die vor allem darin liege, den Schutz der Willensbildung auf dem Weg zum (Aufhebungs-)Vertrag zu gewährleisten und erläuterte deren Grenzen anhand von Beispielsfällen aus der Rechtsprechung. Realiter solle die Rechtsfigur nur in Extremfällen eingreifen, in denen das zivilisatorische Mindestmaß in Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag nicht gewahrt werde. Entgegen einiger Kritik aus der Literatur könne das Gebot des fairen Verhandelns normativ unproblematisch im Regelungssystem des BGB verankert werden – genauer: in § 241 Abs. 2 BGB.

Nach der Mittagspause führte Professor Dr. Carsten Herresthal (Universität Regensburg) in die Grundstruktur sowie die Problemkreise des neuen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG) ein. Auch wenn der weite Anwendungsbereich des LkSG einem trojanischen Pferd gleiche, sei der ausdifferenzierte Pflichtenkanon des Gesetzes doch beherrschbar. Darüber hinaus weise das LkSG aber viele Schwächen auf: Der mit der Anknüpfung von Unternehmenspflichten an völkerrechtliche Regelungen einhergehende Strukturbruch führe zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Zahlreiche unbestimmte Regelungen würden sogar zu einem so großen Konkretisierungsbedarf führen, dass nicht nur dessen Erreichbarkeit, sondern die Verfassungsmäßigkeit des gesamten Gesetzes oder zumindest der einzelnen Regelungen in Frage stehe.

Anschließend gab Professor Dr. Heinrich Kiel, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht, Einblicke in die Entstehung des Urteils zur Arbeitnehmereigenschaft von Crowdworkern. Auch wenn dieses Urteil aufgrund der zahlreichen Besonderheiten nicht verallgemeinerungsfähig sei, rühre dessen Bedeutung daher, dass sich der von ihm geleitete 9. Senat des BAG erstmals ausführlich zu den Tatbestandsmerkmalen der seit 2017 geltenden gesetzlichen Definition des Arbeitsvertrags in § 611a BGB geäußert habe. Kiel unterstrich, dass es für die Arbeitnehmereigenschaft nach wie vor auf die persönliche Abhängigkeit der die Dienste versprechenden Person ankomme. In der Plattformökonomie sei dafür aber weniger die strikte Weisungsgebundenheit entscheidend, sondern ob der Auftraggeber die Auftragsvergabe so organisiert habe, dass dem Auftragnehmer kaum noch Spielraum für eine „im wesentlichen freie“ Gestaltung seiner Arbeit bleibe. Der Rubikon werde überschritten, wenn das Geschäftsmodell des Auftraggebers die ständige Verfügbarkeit über die Arbeitskraft des Crowdworkers verlange, so wie es in der Entscheidung des BAG der Fall war. Der Schutz von Crowdworkern sei zuvörderst Aufgabe des Gesetzgebers. Anstoß dazu könne zum Beispiel der Vorschlag der Europäischen Kommission vom 9. Dezember 2021 für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit sein, welcher unter anderem das Ziel der Ermittlung des richtigen Beschäftigungsstatus verfolge.

Zum Schluss berichtete Rechtsanwalt Professor Dr. Georg Annuß (Staudacher Annuß) von den neuen Entwicklungen im Bereich des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG). Entgegen seinen anfänglichen Erwartungen hätten die Evaluation des EntgTranspG im Jahre 2019 sowie die zu diesem Gesetz ergangenen Entscheidungen des BAG gezeigt, dass die Beschäftigten von ihrem individuellen Auskunftsanspruch durchaus Gebrauch machten. Überdies verwies Annuß auf den Vorschlag der EU-Kommission für eine Lohntransparenzrichtlinie. Dieser weise gleich zwei für das nationale Arbeitsrecht ungewöhnliche Besonderheiten auf: Erstens sollen Verjährungsfristen nicht beginnen, bevor der Verstoß des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen ende. Zweitens soll entgegen § 12 ArbGG die obsiegende Partei berechtigt sein, von der beklagten Partei neben etwaigem Schadensersatz angemessene Gerichts- und Sachverständigenhonorare einzufordern. Für den Arbeitgeber solle dies nur dann gelten, wenn die Klage des Arbeitnehmers wider Treu und Glauben erhoben wurde oder eindeutig unseriös war.

Fazit: Die aktuellen Entwicklungen stellen erneut unter Beweis, dass das Arbeitsrecht mehr als jedes andere Rechtsgebiet das Nervenzentrum der Wirtschafts- und Sozialpolitik bildet. Es bleibt zu hoffen, dass beim nächsten Arbeitsrechtstag am 8. März 2023 über die Herausforderungen nach der Corona-Pandemie diskutiert werden kann man sich wieder vor Ort in Mannheim treffen kann, um sich persönlich auszutauschen.

Silas Hengstberger, Mannheim