2009
4. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2009 zum Thema »Corporate Compliance und Arbeitsrecht«
Haftungsvermeidung durch Gesetzestreue“ – was wie eine Binsenweisheit klingt, wird für die Unternehmen zunehmend zum Problem: Wenn Haftungsrisiken steigen, weil das Recht täglich neue Anforderungen stellt, müssen Arbeitgeber die Befolgung von Vorschriften professionell organisieren und ihre Missachtung konsequent verfolgen. Nichts anderes ist mit dem Begriff „Compliance“ gemeint, der im Mittelpunkt des 4. Mannheimer Arbeitsrechtstags am 11.3.2009 stand. Unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann, Direktor des Instituts für Unternehmensrecht der Universität Mannheim und Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht, Handels- und Wirtschaftsrecht diskutierten die knapp 200 Teilnehmer, ob eine neue Kultur der Überwachung droht, welche Maßnahmen sich empfehlen und wo das Arbeitsrecht Grenzen zieht.
Dass es mit der Einhaltung von Regeln in vielen Unternehmen nicht zum Besten steht, stellte Prof. Maschmann in seinem Eingangsreferat heraus. Bei einer Umfrage der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC hätten fast die Hälfte der Unternehmen angegeben, Opfer eines Wirtschaftsdelikts geworden zu sein. Schwerer wögen die immateriellen Schäden, weil sie den guten Ruf der Unternehmen, ihre Beziehungen zu den Geschäftspartnern und die Arbeitsmoral der Mitarbeiter gefährdeten. |
Betriebliche Compliance-Maßnahmen würden oftmals über die rechtlichen Anforderungen hinausgehen. Zu diesem Fazit gelangte Prof. Dr. Lothar Kuhlen, Professor für Strafrecht, an der Universität Mannheim. Es bestehe sogar die Gefahr einer durch Compliance verschärften Strafhaftung, weil Sorgfaltspflichten transparenter würden. Größere Bestimmtheit der Aufsichtspflichten könne es nur um den Preis einer stärkeren Verrechtlichung geben, die aber unternehmerische Entscheidungsspielräume beschränken würde. Ob das gewollt sei, sei zu bezweifeln, eine echte Alternative zu Compliance gebe es heute aber auch aus strafrechtlicher Sicht nicht mehr. |
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»Vorhandene Strukturen nutzen«
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Nach Meinung von Prof. Dr. Jörg Rodewald von der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Berlin sollten zur Einführung einer Compliance-Organisation vorhandene Strukturen im Unternehmen genutzt und auf diese aufgebaut werden. Unrealistisch sei die Verwirklichung eines „Null-Fehler-Konzepts“. Das Ziel müsse vielmehr in einer sozialadäquaten Risikominimierung liegen. Wichtig seien vor allem klare Informationen und die richtige Einstellung der Mitarbeiter. Dem Zielkonflikt „Compliance oder Umsatz“ müsse durch richtige Anreize bei der erfolgsabhängigen Vergütung Rechnung getragen werden. |
Prof. Dr. Walter Bungard, Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Universität Mannheim, erachtet Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Führungskräfte als den Schlüssel für eine erfolgreiche Compliance. Wenn Vorgesetzte ihre Vorbildfunktion nicht wahrnähmen, sondern selbst Gesetze brächen, könne man von den Mitarbeitern keine Rechtstreue erwarten. Schuld seien die Unternehmen selbst, die bei der Auswahl ihres Führungspersonals zu sehr auf „zahlenorientierte Typen“ setzten, die sich nur wenig um die eigenen Leute kümmerten. |
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»Ethikrichtlinien: Alter Wein in neuen Schläuchen«
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Um die Mitarbeiter trotzdem auf die einschlägigen Rechtsvorschriften „einzuschwören“, implementieren mehr und mehr Firmen sog. »Ethikrichtlinien«. Dr. Andreas Wagner unterstrich, dass es keine allgemeine Rechtspflicht zur Einführung solcher Verhaltenskodizes gebe. Nicht jede Bestimmung in einer Richtlinie sei verbindlich, manchmal würde auch nur eine bestimmte Unternehmensphilosophie kommuniziert. Wo verbindliche Verhaltensnormen gewollt seien, könne der Arbeitgeber diese häufig einseitig per Direktionsrecht einführen. Dieses ermögliche nämlich nicht nur Einzelanweisungen, sondern auch die Einführung generell-abstrakter Regelungen. Ethikrichtlinien seien nichts neues, hob Prof. Wolfgang Hromadka in einem Diskussionsbeitrag hervor. Bis in die 1970er-Jahre hinein habe man dasselbe in Arbeitsordnungen geregelt, die aber wegen ihrer Mitbestimmungspflichtigkeit außer Gebrauch gekommen seien. |
Wie man den Überblick über die Vielzahl einzuhaltender Regeln und deren Anforderungen an die Mitarbeiter kommuniziert, beleuchtete Dr. Ivo Natzel vom Bundesarbeitgeberverband Chemie. Laut Natzel träfe keine der Arbeitsvertragsparteien eine Qualifizierungspflicht, wohl aber eine Obliegenheit. Niemand könne zu einer Schulung verpflichtet werden; wer aber nicht weiterbilde oder sich nicht schulen lasse, habe die Folgen seines Unterlassens zu tragen: der Arbeitgeber, der für das Verschulden seiner rfüllungsgehilfen hafte, der Arbeitnehmer, dem bei mangelnden Kenntnissen die personenbedingte Kündigung wegen eines Eignungsmangels drohe. |
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»Vorsicht beim „Whistleblowing“«
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Ein Instrument zur Durchdringung der in vielen Firmen anzutreffenden Informationsbarrieren zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern kann „Whistleblowing“ sein. Dr. Hans-Joachim Fritz von der Frankfurter Sozietät Kaye Scholer machte klar, dass es derzeit keine Pflicht zur Einrichtung entsprechender „Anzeigesysteme“ im Unternehmen gebe. Solle ein solches installiert werden – z. B. als Telefonhotline oder über Ombudsleute –, müsse man an den Schutz des Hinweisgebers denken. Mit der Schaffung einer allgemeinen Anzeigebefugnis in § 612a BGB n.F. würde allerdings ein Denunziantentum befördert. Ein Arbeitnehmer könnte dann – anders als nach bisher geltendem Recht – bereits Bagatelldelikte an betriebsexterne Stellen (Staatsanwaltschaft, Gewerbeaufsicht, Finanzbehörden, Presse usw.) auf den bloßen Verdacht hin melden, dass firmenintern nichts passiere. |
Zum Abschluss der Tagung ging Prof. Maschmann der Frage nach, was bei einer Mitarbeiterkontrolle erlaubt und was verboten sei. Die Vorfälle bei Lidl, bei der Telekom und der Deutschen Bahn hätten das Bewusstsein geschärft, das bei der Verhinderung, Aufdeckung und Ahndung von Rechtsverstößen die Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter gewahrt bleiben müssten. |
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Fazit:
An Compliance führt heute kein Weg mehr vorbei. Hierbei die richtige Balance zu bewahren, wird Wissenschaft und Praxis weiter beschäftigen. Ein Anfang ist gemacht. Die Referate werden in einem beim nomos-Verlag erscheinenden Tagungsband in einigen Wochen veröffentlicht. |