2017

Bericht 12. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2017 zum Thema »Haftung und Haftungsvermeidung im Betrieb«

Haftungsfragen im Betrieb nehmen seit einigen Jahren wieder an Bedeutung zu. Während die letzte wegweisende Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes bereits 24 Jahre zurückliegt, liegen Fragen des Haftungsrechts – insbesondere der Haftungsvermeidung – in Zeiten von „Diesel-Affäre“ und „Schlecker-Skandal“ heute mehr im Fokus denn je.
Viele Geschäftsfelder werden internationaler und unübersichtlicher, Chancen und Risiken liegen enger beieinander. Hinzu kommen die immer weiter reichenden Anforderungen der Rechtsordnung, die kaum mehr zu erfüllen sind. Damit steigt die Verantwortlichkeit von Führungskräften, die mehr und mehr auch persönlich zur Rechenschaft gezogen werden. Dem Ziel, Haftungsrisiken zu erkennen und Haftungsfälle zu vermeiden, dient, was seit gut einem Jahrzehnt unter dem Stichwort „Compliance“ mehr oder weniger intensiv von den Unternehmen betrieben wird.
Dem aktuellen Stand des Haftungsrechts und den Möglichkeiten, Haftung zu vermeiden, widmete sich der nunmehr zum zwölften Mal von Prof. Dr. Frank Maschmann, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg, veranstaltete Mannheimer Arbeitsrechtstag am 08. März 2017.
Verhaftung
at17_fritz Zum Auftakt erklärte Rechtsanwalt Dr. Hans-Joachim Fritz, Partner der Kanzlei Arnold Porter Kaye Scholer, dass Führungskräfte nicht nur als Organvertreter in den Fokus von Haftungsfragen geraten können. Der Begriff der Führungskraft erfasse eine jede „Person, die in leitender Stellung mit eigener Entscheidungsbefugnis“ tätig werde. Ob für solche Führungskräfte auch die vom BAG entwickelten Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung gelten können, sei bislang von der Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet worden. Eine klare Linie, lasse sich nicht erkennen. Festzuhalten sei, dass Führungskräfte in der Regel maßgeblich die Arbeitsbedingungen mitgestalten. Eine Anwendung der Haftungsbeschränkung, die bekanntlich unter anderem damit begründet wird, dass der Arbeitnehmer auf diese Bedingungen gerade keinen Einfluss nehmen kann, dürfte damit wohl ausscheiden. Allerdings stellt Dr. Fritz fest, dass dies insbesondere dann zu unbefriedigenden Ergebnissen führen wird, wenn die Führungskraft selbst einer Weisungsgebundenheit unterliegt. Daher fragt er, ob eine Anlehnung an die Business Judgement Rule hier eine Hilfestellung geben könnte. Er regt an, § 93 Abs. 1 S. 2 AktG wie folgt zu lesen:
„Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn die Führungskraft bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“
Für eine solche Handhabung der Haftung von Führungskräften spräche insbesondere die regelmäßige Nähe zu Geschäftsleitung oder Vorstand. Als Folge der Anwendung der Business Judgement Rule würde dann eine Beschränkung der Haftung über die Grundsätze der privilegierten Arbeitnehmerhaftung ausscheiden. Ausnahmen hiervon wären für Fälle denkbar, in denen kein typischer Schaden aus dem Führungsverhalten vorliegt (z.B. Unfallfahrt) oder ein grobes Missverhältnis von Gehalt zum eingetretenen Schaden. Es bleibt spannend, wie die Rechtsprechung mit solchen Fragen künftig umgehen wird.
Während Dr. Fritz sich überwiegend mit der Haftung der Führungskräfte, die nicht zugleich Organ der Gesellschaft sind, befasste, wandte sich der beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt Dr. Thomas Winter der Haftung der Geschäftsführer in Matrixorganisationen zu. Zunächst erläuterte Dr. Winter die Funktionsweise der zunehmend bedeutenderen Matrixorganisationen anhand des faktischen GmbH-Konzerns, auf den sich sein Vortrag beschränkte. Das Grundproblem liege darin, dass in einem aus vielen GmbH zusammengesetzten faktischen Konzern vielfältige Weisungsbeziehungen bestehen. Haftungsrisiken könnten dabei auf allen Seiten einer Weisungsbeziehung entstehen: So könne ein weisungsgebender Mehrheitsgesellschafter leicht Treuepflichten gegenüber seinen Minderheitsgesellschaftern verletzen, wenn er versuche seine eigenen Vorstellungen rücksichtslos durchzusetzen. Genauso könne ein weisungsempfangender Geschäftsführer einer Konzerngesellschaft leicht in die Haftung geraten. Hier liege das große Haftungsrisiko insbesondere in den Fällen, in denen eine Weisung nicht augenscheinlich fehlerhaft sei. In diesen Fällen müsse der weisungsempfangende Geschäftsführer sehr genau prüfen, ob die Weisung gesetzmäßig und mit der Satzung vereinbar sei, der Kompetenz des weisungsgebenden Matrixmanagers unterliege sowie keine Nachteile für die Gesellschaft mit sich bringe. Der Geschäftsführer müsse hier häufig die Frage beantworten, ob er die Weisung „eher“ für wirksam oder „eher“ für unwirksam erachte, da über deren Wirksamkeit oft erst später im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens entschieden werde. Das Haftungsrisiko bestehe damit sowohl darin, dass der Geschäftsführer eine unwirksame Weisung befolgt, als auch darin, dass er eine wirksame Weisung nicht befolgt. Da es bei diesen Fragen um die Legalitätspflicht gehe, könne sich der Geschäftsführer auch nicht auf die Business Judgement Rule berufen.
Aufgrund der enormen Haftungsrisiken empfiehlt Dr. Winter diesen Risiken durch weitsichtige Vertragsgestaltung vorzubeugen. Dies lasse sich z.B. durch die Vereinbarung von Haftungshöchstgrenzen oder die Modifizierung des Haftungsmaßstabes bis zur Grenze des § 276 BGB umsetzen.
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at17_fischer Wie in den letzten Jahren, geht auch der Mannheimer Arbeitsrechtstag 2017 die diskutierte Fragestellung interdisziplinär an. So erläuterte Prof. Dr. Peter Fischer, Inhaber des Lehrstuhls für Sozial-, Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität Regensburg, die psychologischen Komponenten der Führungskräfteverantwortung.
Prof. Fischer machte deutlich, dass Menschen nach dem Gefühl streben, die Kontrolle zu haben, tatsächlich häufig aber Psyche und Unterbewusstsein mehr Einfluss auf unsere Entscheidungen haben, als uns bewusst ist. Softfaktoren haben so große Auswirkungen auf das menschliche Verhalten. Als Beispiele führte der Regensburger Psychologe den Einfluss von Emotionen auf die Entscheidungsfindung, die kollektive Kostenfindung („Wir-Gefühl“) oder das Phänomen der Verantwortungsdiffusion. Nur wenn sich Führungskräfte kognitiv bewusstmachen, dass es diese psychologischen Bestandteile der Entscheidungsfindung gibt, können sie diesen unterbewussten Einflüssen entgegensteuern.
Andererseits könnten sich Führungskräfte psychologische Elemente auch in ihrem Führungsverhalten zunutze machen. So streben Menschen beispielsweise stets nach Vorbildern, denen sie nacheifern können. Führungskräfte seien also stets gehalten, z.B. im Hinblick auf Compliance-Verhalten, sich selbst compliant zu verhalten, um ihren Mitarbeitern so dieses Vorbild zu geben.
Prof. Fischer schloss damit, dass Führung letztlich „der Prozess [sei], in dem ein Individuum Gruppenmitglieder beeinflusst, sodass sie inspiriert sind, ein Ziel zu verfolgen, das die Führungsperson als wichtig identifiziert hat“.
Rechtsanwalt Axel Breinlinger, vormals Richter am Bundesarbeitsgericht, analysierte sodann die aktuelle Diskriminierungsrechtsprechung des BAGs.
Er griff zunächst die aktuelle Entscheidung zur Diskriminierung wegen Transsexualität auf. Hier sei insbesondere problematisch, dass das Geschlecht bereits seit längerem kein eindeutiges Merkmal mehr sei. So sollen im Internet bis zu 60 Geschlechtsoptionen diskutiert werden. Wo und wie hier Grenzen der Geschlechtsdiskriminierung gezogen werden können und müssen, wird die künftige Rechtsprechung zeigen (müssen).
Eine weitere Entscheidung des BAG mit einiger Sprengkraft sei die Vorlage des BAG an den EuGH zur Diskriminierung wegen der Religion. Während nach deutschem Verständnis § 9 Abs. 1 AGG iVm. Art. 140 GG, Art. 137 WRV so auszulegen sei, dass die Kirche das Privileg der Selbstbestimmung im Bereich „ihres Propriums“ habe, sei unklar, ob dies einer unionsrechtskonformen Auslegung gerecht werde, da die Richtlinie eine so weitgehende Ausnahme nicht vorsehe. Diese setze vielmehr voraus, dass die Religion eine „wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation“ darstelle. Hier bleibt abzuwarten, ob das deutsche Verständnis korrigiert werden muss.
Letztlich erläuterte Rechtsanwalt Breinlinger anhand neuerer Entscheidungen, dass künftig insbesondere für Bewerberklagen ein neues Prüfungsschema gelte. So liege eine objektiv vergleichbare Situation im Sinne des § 3 AGG bereits dann vor, wenn sich die Person auf die gleiche Stelle beworben habe. Das Merkmal der „objektiven Eignung“ spiele erst im Rahmen der Kausalitätsprüfung eine Rolle. Auch das Erfordernis einer „subjektiven Ernsthaftigkeit“ sei aufgegeben worden. Bewerberklagen könne der Arbeitgeber den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben und müsse dies nun auch.
at17_breinlinger
at17_grosse_vorholt Abschließend erläuterte Rechtsanwalt Dr. André Große Vorholt, Partner der Kanzlei Luther, was zu tun ist, wenn die Strafverfolgung angelaufen ist und Ermittlungen gegen Führungskräfte eingeleitet wurden.
Zunächst stellte er klar, dass der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit der Geschäftsführung dazu führe, dass jedes Organmitglied stets seine rechtlichen Möglichkeiten zur Verhinderung rechtswidriger Beschlüsse ausschöpfen müsse. Das Organmitglied müsse daher regelmäßig gegen den Beschluss stimmen, während eine bloße Enthaltung nicht ausreiche. Neben der Haftung für eigenes Verhalten komme aber auch eine Haftung für Fehlverhalten der eigenen Mitarbeiter in Betracht. So seien die Entscheidungsträger auf Leitungsebene von Unternehmen dann als mittelbare Täter anzusehen, wenn sie „über regelhafte Abläufe“ das Geschehen kontrollieren (Täterschaft kraft Organherrschaft).
Zudem komme neben einer strafrechtlichen Haftung häufig auch eine bußgeldrechtliche Haftung nach § 130 OWiG in Betracht, an die sich auch eine Unternehmensbuße nach § 30 OWiG anschließen könne.
Wird gegen Führungskräfte ermittelt, könne eine schnelle Reaktion erforderlich sein, z.B. bei Ad-hoc-Pflichten nach § 15 WpHG oder der Berichtigung von Steuererklärungen nach § 153 AO.
Zudem sollte darauf geachtet werden, dass eine angemessene Kommunikationsstrategie gewählt wird. Im Zweifel empfehle es sich zu erklären, dass man an einer vollständigen Aufklärung interessiert sei, und unter Hinweis auf das laufende Ermittlungsverfahren keine weiteren Auskünfte zu erteilen.
Letztlich müsse auch die Verteidigungsstrategie auf den Einzelfall ausgerichtet werden. Dr. Große Vorholt erklärte, dass hier von einer „Sockelverteidigung“ bis hin zur vollständigen Kooperation viele Möglichkeiten bestünden. Wichtig sei jedoch, dass stets Sachverhaltsaufklärung betrieben werde, die je nach Komplexität auch eine umfassende Internal Investigation erfordern könne.
Fazit:
Erneut eine gelungene Veranstaltung, die auch in Ihrem 12. Jahrgang wieder knapp 200 Arbeitsrechtler aus ganz Deutschland in Mannheim zusammenkommen ließ. Nicht nur die vielfältigen Vorträge, sondern auch die interessanten Diskussionen zeigten, dass zwar bereits einige betriebliche Haftungsfragen geklärt sind, die Zukunft aber auch noch viele Fragen aufwerfen wird. Nicht zu Letzt wurde in den Diskussionen deutlich, dass neben Organen häufig auch Unternehmensbeauftrage (Compliance-Beauftragte, Datenschutzbeauftrage) in den Fokus von Haftungsfragen geraten.

Jonas B. Hofer


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