2019

Bericht 14. Mannheimer Arbeitsrechtstag, 13. März 2019: »Betriebsübergang reloaded«

 

at18_eylert Übernahmen und Umstrukturierungen von Betrieben prägen das Bild einer dynamischen Wirtschaft. Die arbeitsrechtlichen Spielregeln definiert § 613a BGB. „Kauf bricht nicht Arbeitsverhältnis“, so lässt sich die Botschaft der Vorschrift prägnant zusammenfassen. Die Dinge liegen jedoch komplizierter, und das „Transaktionsarbeitsrecht“ ist seit kurzem wieder in Bewegung. Neuere höchstrichterliche Entscheidungen lassen aufhorchen. Altbekannte Grundsätze werden fraglich. Das neue Datenschutzrecht tut sein Übriges. Über die damit verbundenen Herausforderungen diskutierten am 13. März unter der Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg) rund 200 Experten aus Unternehmen und Verbänden sowie Richter und Rechtsanwälte in Mannheim.

Die Abgrenzung, ob ein Betriebsübergang vorliegt oder nicht, wird immer schwieriger, und die Betroffenen wehren sich mit Klagen, oft bis zur letzten Instanz. Das belegen die fast 500 Urteile, die die Entscheidungssammlung „AP“ zu § 613a BGB mittlerweile verzeichnet, von denen über die Hälfte erst nach dem Jahre 2000 ergangen sind. Die Komplexität, so Maschmann in seinem Eingangsreferat, habe rechtliche, aber auch tatsächliche Gründe. Schuld sei vor allem der an seinen Rändern wenig griffige Tatbestand des § 613a BGB.

Dieser Problematik nahm sich gleich zu Beginn Professor Dr. Anja Schlewing, Vorsitzende des für die Fragen des Betriebsübergangs zuständigen 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts an. Im Lichte der EuGH Rechtsprechung komme es für den Betriebsübergang maßgeblich darauf an, ob eine wirtschaftliche Einheit identitätswahrend übergehe. Dies erfordere stets eine typologische Gesamtbetrachtung auf Basis der vom EuGH entwickelten Kriterien im jeweiligen Einzelfall. Eine solche Gesamtbewertung sei im offenen Tatbestand des § 613a BGB angelegt und führe zu mehr Gerechtigkeit. Hingegen sei die im Schrifttum vorangetriebene Schaffung neuer verallgemeinernder Begrifflichkeiten („betriebsmittelarmer“, „betriebsmittelreicher“ Betriebsübergang) nicht zielführend. Diese liefen Gefahr, die Kriterien des EuGH nicht vollständig abzubilden mit dem Risiko der Unionsrechtswidrigkeit. Die Unschärfe des § 613a BGB habe auch ihr Gutes: sie eröffne Argumentationsspielräume, die von den Beteiligten genutzt werden könnten. at18_schoellmann
at18_bauer Dass auch die Rechtsfolgen des § 613a BGB Kopfzerbrechen bereiten, zeigte der Vortrag von Professor Dr. Cord Meyer zu den weitreichenden Informationspflichten vor einem Inhaberwechsel. Die Gestaltung einschlägiger Informationsschreiben darf getrost als gefahrgeneigte Arbeit bezeichnet werden. Denn wird nicht gehörig informiert, läuft die Widerspruchsfrist nicht an, und eine Frist, die nicht anläuft, kann auch nicht ablaufen. Damit können Mitarbeiter noch Jahre nach dem Betriebsübergang widersprechen und sich sodann bei ihrem alten Arbeitgeber einklagen. Während die Verwirkung in einem solchen Fall oft als letzter Rettungsanker angesehen wird, hob Meyer auch die Chancen und Risiken einer erneuten Unterrichtung hervor. Meyer verdeutlichte weiter, dass durch rechtsgeschäftliche Vorsorge der Entstehung eines unbefristeten Widerspruchrechts vorgebeugt werden könne. Dafür solle, wenn möglich, die wirtschaftliche Zukunft des Erwerbers stabilisiert werden. Neben der erweiterten Haftung des Veräußerers kämen auch unterschiedliche Maßnahmen zur Jobsicherung beim Erwerber in Betracht. Denn dann bestehe für den Erwerber regelmäßig kein Anreiz sich durch provozierte Widersprüche, z.B. durch falsche Unterrichtung über wirtschaftliche Folgen, nachträglich von Arbeitnehmern zu trennen.
Im Anschluss erörterte Rechtsanwalt Dr. Burkard Göpfert in seinem Vortrag „Unternehmenskaufvertrag und Due Diligence nach neuem Datenschutzrecht“ die Frage, welche Beschäftigtendaten einem Kaufinteressenten im Vorfeld eines Betriebsübergangs zugänglich gemacht werden dürfen. Da die Kaufverhandlungen oft im Geheimen ablaufen, ist die Datenübermittlung für den betroffenen Arbeitnehmer meist vollkommen intransparent und geschieht deshalb auch ohne seine ausdrückliche Einwilligung. Welche rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen ergriffen werden müssen, um die Daten trotzdem zu übermitteln, sei wichtiger denn je, so Göpfert. Denn bei Verstößen gegen das neue Datenschutzrecht würden bekanntlich Bußgelder in Millionenhöhe drohen. Der Arbeitgeber müsse nicht nur elektronische Datenräume mit personenspezifischen Zugriffsrechten schaffen, sondern auch nachweisen, dass seine Datenübertragungs- und Löschkonzepte den gesetzlichen Anforderungen genügten. Deshalb sei eine lückenlose Dokumentation der Datenübermittlungsprozesse von herausragender Bedeutung. Zu beachten sei weiter, dass bei fehlender Einwilligung der Arbeitnehmer die Datenübermittlung zwingend in einem Beschäftigungskontext stehen müsse. Nur dann seien die relevanten Erlaubnistatbestände der DS-GVO eröffnet. Dies hänge entscheidend davon ab, in welcher Phase des asset-deals die Beschäftigtendaten übermittelt werden. Überdies werde in der sich anschließenden Interessenabwägung noch zu häufig verkannt, dass die Interessen des Erwerbers in der Regel keine Berücksichtigung finden dürften. at18_maschmann
at18_betz Eine weitere Baustelle ist die Fortgeltung von Kollektivverträgen beim Betriebsübergang. Selbst langjährige Experten verzweifeln an der Frage, wie die aus verschiedenen Betrieben zusammengeführten Belegschaften nach einem Betriebsübergang einheitlich vergütet werden können. Über dieses komplexe Thema referierte Dr. Mario Eylert, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht a.D. Zwar erkenne der Gesetzgeber das Vereinheitlichungsinteresse an sich an, wie die Wiederherstellung des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb durch das TEG zeige. Nur laufe dieses Gesetz in den allermeisten Fällen leer, weil der neue § 4a Abs. 2 S. 2 TVG nur für die Kollision normativ geltender Tarifverträge gelte, nicht aber für Bezugnahmeklauseln, die bei nicht gewerkschaftlich organisierten Mitarbeitern erst zur Anwendbarkeit des Tarifvertrages führe. Alles laufe daher auf eine kluge und sorgfältige Gestaltung dieser Klauseln beim Veräußerer hinaus. Denn weder die Änderungskündigung noch die Betriebsvereinbarung stellten ein taugliches Instrument zur Harmonisierung von Vergütungsordnungen dar. Daran ändert auch die Lehre von der „Betriebsvereinbarungsoffenheit“ vorformulierter Arbeitsbedingungen wenig. Einer Änderung durch Betriebsvereinbarung stehe zumeist § 77 Abs. 3 BetrVG entgegen, weil der Erwerber seine Betrieb im Regelfall nicht in „tariflosen“ Bezirken führe. Die Abhängigkeit von der sorgfältigen Vertragsgestaltung des Veräußerers sei aus Erwerbersicht zwar unerfreulich, unter Berücksichtigung der berechtigten Schutzinteressen des Arbeitnehmers aber hinzunehmen. Anpassungsnotwendigkeiten des bestehenden rechtlichen Systems sieht Eylert trotz dessen teilweise schwerer Handhabbarkeit zurzeit nicht. Sie sei auch vom Unionsrecht gedeckt.
Dass der Betriebsübergang auch vor dem Betriebsrat nicht haltmacht, verdeutlichte Professor Dr. Martin Gutzeit. Das Schicksaal des Betriebsratsamts und der Betriebsvereinbarung hänge davon ab, ob der gesamte Betrieb oder nur ein Teil dessen übergehe. Diese Differenzierung sei auch für die Betriebsratsrechte von entscheidender Bedeutung. Hingegen fehle dem Betriebsrat unabhängig von der Art des Betriebsübergangs die Kompetenz, um sogenannte Personalüberleitungsverträge mit dem Veräußerer und dem Erwerber zum Zwecke der Beschäftigungssicherung abzuschließen. at18_natter
at18_natter Sind alle rechtlichen Fragen geklärt, gilt es, auch die Mitarbeiter für den Betriebsübergang zu begeistern. Dieses häufig unterschätzte Feld behandelte der Regensburger Psychologe Prof. Dr. Peter Fischer. Seine Untersuchungen zeigen, dass mehr als die Hälfte der Übernahmen scheitern, weil das Personal nicht mitzieht: aus Angst, aus Frust oder einfach wegen schlechter Stimmung. Um dem zu begegnen, solle man sich auch mit gruppenpsychologischen Erkenntnissen auseinandersetzen und frühzeitig an ein effektives Changemanagement denken.
Fazit:
Fazit: Das „Transaktionsarbeitsrecht“ bietet auch 2019 noch ausreichend Raum für spannende Diskussionen und Auseinandersetzungen. Um solchen Auseinandersetzungen in der Praxis vorzubeugen und mögliche Gestaltungsspielräume effizient zu nutzen, sollte man sich stets frühzeitig mit den umfassenden Implikationen des Betriebsübergangs beschäftigen.

Silas Hengstberger, Mannheim


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