2018

Bericht 13. Mannheimer Arbeitsrechtstag, 7. März 2018: »Schöne neue Arbeitswelt«

 
Deutschland steht vor technologischen Umbrüchen. Selbstfahrende Autos, Roboter als Krankenpfleger und Drohnen als Paketzusteller sind zum Greifen nahe. „Big Data“, „Smart Factory“ und „Internet der Dinge“ sind in aller Munde. Die Prozesse werden schneller und internationaler, die Hierarchien flacher und flexibler, die Mitarbeiter selbstbestimmter und stärker gefordert. Fast jede Branche durchläuft ihre digitale Transformation. Und das mit rasanter Geschwindigkeit und extrem sinkenden Preisen für Hard- und Software. Über die damit verbundenen Herausforderungen für Unternehmen und Beschäftigte diskutierten am 7. März 2018 unter der Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg) rund 200 Experten aus Unternehmen und Verbänden, sowie Richter und Rechtsanwälte in Mannheim.
at18_eylert In seinem Vortrag „Arbeitszeit in der digitalen Arbeitswelt“ erörterte Dr. Mario Eylert, Vors. Richter am Bundesarbeitsgericht, sodann Möglichkeiten und Grenzen einer Anpassung des betrieblichen Arbeitszeitregimes an die durch die Digitalisierung veränderte Arbeitswelt. Aus dem Traum einer selbstbestimmten Arbeit „anytime & anyplace“ dürfe nicht der Alptraum eines Arbeitsdiktats „always & everywhere“ werden. Eylert verwies dabei auf aktuelle Studien der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Danach nähmen psychische Belastungen am Arbeitsplatz vor allem deshalb zu, weil die Arbeit gleichzeitig intensiviert und extensiviert werde. Deshalb bestünde keine Notwendigkeit die gesetzlichen Regelungen in naher Zukunft anzupassen, zumal das EU-Recht nationalen Regelungen zu Höchstarbeits- und Ruhezeiten enge Grenzen ziehe. Die digitale Arbeitswelt müsse sich an der geltenden Gesetzeslage ausrichten. Ob dies so bleibe, müsse politisch entschieden werden, und zwar auf europäischer und nationaler Ebene. Tarifvertragliche Regelungen könnten dabei nur Rahmenbedingungen schaffen, passgenaue Lösungen sollten auf betrieblicher Ebene gefunden werden.
Arbeit in der schönen neuen Arbeitswelt heißt auch: arbeiten, wo ein Smartphone, Tablet-PC oder Notebook mit einem Internet-Zugang zur Verfügung steht, und das auch von zu Hause. Allerdings ist das für die meisten Zukunftsmusik. Nach einer aktuellen Bitcom-Umfrage besteht für 75 % der Beschäftigten noch immer Anwesenheitspflicht im Betrieb. Neue Wege geht die Deutsche Telekom. Mit ihrem Tarifvertrag „Mobile Working“, über den Ingo E. Schöllmann, Hauptgeschäftsführer agv comunity e.V. und Vice President Tariff Policy Deutsche Telekom AG, referierte, ermöglicht sie ihren Mitarbeitern auch die Arbeit von zu Hause aus. Über 20.000 Beschäftigte profitierten mittlerweile davon. Der Kreis der Teilnahmeberechtigten wird laut Schöllmann in einem zweistufigen Verfahren festgelegt. Zunächst bestimme der Arbeitgeber (allein und mitbestimmungsfrei) abstrakt-allgemein die Bereiche, in denen Mobile Working überhaupt in Betracht komme, zB für bestimmte Entwicklungs- und Verwaltungsarbeiten. Gehöre der Mitarbeiter zu diesen Bereichen, habe er sodann einen Anspruch auf Mobile Working. Diesen könne der Arbeitgeber nur aus konkreten betrieblichen Belangen oder in der Person des Beschäftigten liegenden Umständen ablehnen. Im Streitfalle entscheide ein paritätisch besetztes Gremium. Dazu sei es aber bislang nicht gekommen. Schöllmann wies darauf hin, dass das Unternehmen vor allem bei den Führungskräften viel Überzeugungsarbeit leisten musste. at18_schoellmann
at18_bauer Dem aktuellen Thema „Geschlechtergerechtes Entgelt“ nahm sich anschließend RA Prof. Dr. Jobst-Hubertus Bauer, an. Er räumte ein, dass nach wie vor Frauen in Deutschland im statistischen Durchschnitt einen niedrigeren Bruttostundenlohn als ihre männlichen Kollegen erhielten. Die Entgeltlücke sei aber durch so viele Faktoren bedingt, dass sie durch das neue Entgelttransparenzgesetz kaum zu schließen sei. Hinzukomme, dass das Gesetz auch „handwerklich“ schlecht gemacht sei, weil es unnötig neue Definitionen einführe und das Verhältnis zum AGG offenlasse. Völlig untauglich sei der individuelle Auskunftsanspruch, mit dem der Arbeitnehmer Informationen über das Entgelt vergleichbarer Kollegen des anderen Geschlechts erhalten könne. Der Mitarbeiter erfahre nämlich nur den „Median“ und nicht das Gehalt eines konkreten Kollegen. Damit könne man aber gar nichts anfangen. Trotzdem müsse man das Gesetz ernst nehmen. Eine verweigerte Auskunft könne nämlich eine Diskriminierung indizieren und zu Nachzahlungsansprüchen und Schadensersatz führen.
Dass in der digitalen Arbeitswelt die Belegschaft immer gläserner wird, verdeutlichte der Vortrag von Prof. Dr Frank Maschmann. Screening, Big Data, HR Analytics seien auch im Personalwesen auf dem Vormarsch. Intelligente Software durchforste die Mails und Terminkalender von Beschäftigten, um herauszufinden, wofür sie ihre Zeit einsetzten. Key-Logger Software protokolliere sämtliche Tastatureingaben am PC und erstelle heimlich Screenshots. Stimmerkennungssoftware registriere nicht nur, mit wem Callcenter-Mitarbeiter kommunizierten, sondern auch mit welcher Motivation, Iris- Scans verrieten dem Arbeitgeber, ob man ausgeschlafen oder müde zur Arbeit komme. Abhilfe verspreche jedoch die neue Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union, die am 25. Mai 2018 zusammen mit einem neuen Bundesdatenschutzgesetz in Kraft trete. Nach Ansicht von Maschmann seien heimliche Mitarbeiterkontrollen dann nämlich verboten. Notwendig sei ein Beschäftigtendatenschutzgesetz, so wie es der Koalitionsvertrag in Aussicht gestellt habe. at18_maschmann
at18_betz Die für den Praktiker besonders relevante Frage, ob datenschutzwidrig erhobene Beweise gerichtlich verwertbar sind, behandelte danach Dr. Christoph Betz, Richter am Arbeitsgericht Regensburg. Seine Antwort fiel gespalten aus. Zwar folge nicht aus jedem Beweiserhebungsverbot zwangsläufig ein Beweisverwertungsverbot, weil die Gerichte jedem Prozessbeteiligten rechtliches Gehör gewähren müssten, um einen streitigen Sachverhalt so gut wie möglich aufzuklären. Dabei müssten aber die Persönlichkeitsrechte der von einer Kontrollmaßnahme betroffenen Partei gewahrt bleiben. Das erfordere im Einzelfall schwierige Abwägungen, die im Ergebnis nur bei sonst drohender Beweisnot eine Verwertung rechtswidrig erhobener Beweise erlaube.
Dass die Digitalisierung selbst vor Gerichten nicht haltmacht, zeigte zum Schluss der Vortrag von Dr. Eberhard Natter, Präsident des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg, zum elektronischen Rechtsverkehr in der Arbeitsgerichtsbarkeit. Eindrucksvoll schilderte er die vielen Vorzüge der elektronischen Akte, die die Verfahren transparenter mache, sie weiter beschleunige und zum Schluss auch Kosten spare. Freilich seien noch einige Kinderkrankheiten im Verfahren zu kurieren. Natter zeigte sich aber optimistisch, die Probleme bald in den Griff zu bekommen. at18_natter
Fazit:
Die schöne neue Arbeitswelt fordert das Arbeitsrecht auch weiterhin heraus. Vielfach bedarf es neuer Lösungen. Dabei richtige Balance zwischen Freiheit und Bindung zu finden, bleibt spannend.

Silas Hengstberger, Mannheim


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