2016

Bericht 11. Mannheimer Arbeitsrechtstag zum Thema »Arbeit 4.0: Rahmenbedingungen für die digitale Arbeit der Zukunft«

Deutschland ist – wie viele andere Industrienationen – auf dem Weg in eine digitale Ökonomie. „Industrie 4.0“ heißt das Schlagwort. Dahinter verbirgt sich der tiefgreifende Wandel, der sich aufgrund der hochautomatisierten und vernetzten Produktions- und Logistikkette in der Industrie vollzieht. Tradierte arbeitsrechtliche Kernelemente unterliegen zunehmend der „Entgrenzung“. So verlieren insbesondere der Arbeitsplatz in einem Betrieb und die klassische Arbeitszeit an Bedeutung. Die Digitalisierung ermöglicht die Arbeit zu jeder Zeit an jedem Ort. Dass damit auf der einen Seite zwar Freiraum und Flexibilität im Arbeitsalltag ermöglicht werden, auf der anderen Seite aber auch die Gefahr „moderner Sklaverei“ besteht, liegt auf der Hand. Hier muss das Arbeitsrecht die richtigen Weichen stellen. Über die Herausforderungen in der digitalen Arbeitswelt diskutierten am 02.03.2016 unter der Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg) rund 200 Experten aus Unternehmen und Verbänden, sowie Richter und Rechtsanwälte in Mannheim.

at16_fischer Empfehlungen zu den Anforderungen, denen Unternehmen im Zusammenhang mit dem „Recruiting“ und „Retaining“ von Digital Natives gerecht werden müssen, gab aus wirtschaftspsychologischer Sicht Professor Dr. Peter Fischer, Lehrstuhlinhaber für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Universität Regensburg. Um im „War for Talents“ zu bestehen, sei es zentral für Unternehmen, das Wertesystem der Generation Y, der es mehr auf die freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ankomme, als auf Geld und Karriere, in die Arbeitswelt zu adaptieren. Eine zentrale Rolle im Bewerbungsprozess spiele das „Digital Employer Branding“, das, so der Referent, in Deutschland noch viel zu wenig eingesetzt werde. Insbesondere bei den Mobilen Websites bestehe ein erhebliches Defizit. Damit es nicht zum „Generationen-Crash“ komme, sei es zudem wesentliche Aufgabe der Unternehmen, die Zusammenarbeit der Generationen so zu organisieren, dass generationsbedingte Unterschiede letztlich zur gewinnbringenden Symbiose werden.
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Dass das Arbeitszeitgesetz nicht den Anforderungen der digitalen Arbeitswelt entspricht, erläuterten Diplom-Ingenieur Kai Schweppe, Geschäftsführer Arbeitspolitik, und Rechtsanwalt Philipp Merkel, Referatsleiter Arbeitsrecht, beide Südwestmetall Stuttgart. Während die moderne, digitale Arbeitswelt die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit immer mehr verwische, gehe das Arbeitszeitgesetz noch vom klassischen 8-Stunden-Tag aus und damit vielfach an der Arbeitsrealität vorbei. Ein möglicher Lösungsansatz liege in der Umstellung auf die Wochenarbeitszeit. Dabei sollten auch die Sozialpartner, die die branchenspezifischen Bedürfnisse am besten kennen, stärker eingebunden werden. Um die Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes trotz ständiger Erreichbarkeit und Verfügbarkeit sicherzustellen, schlugen die Referenten vor, das Sanktionssystem auszuweiten und neben dem Arbeitgeber auch auf überwachende Arbeitnehmer zu erstrecken. at16_merkel
at16_heiland Die Entgrenzungen bezogen auf den Arbeitsort nahmen sodann Sandra Heiland und Sven Spieler, Labor Relations, Roche Diagnostics GmbH Mannheim ins Visier: Die Möglichkeiten, die aus der „Arbeit für jedermann von überall aus“ erwachsen, fordern dem Arbeitgeber, so die Referenten, einen Spagat zwischen der Verhinderung moderner Sklaverei und der Teilnahme an der „Arbeit der Zukunft“ ab. Neben Home-Office und mobilem Arbeiten ergäben sich insbesondere aus der Organisation von Unternehmen in konzernübergreifende Matrixstrukturen Neuheiten, denen das Arbeitsrecht (noch) hinterhereile. Gerade beim Betriebsbegriff müsse hier nachjustiert werden, um die Vertretung durch die Betriebspartner auch jenseits der Einteilung in klassische Betriebsstrukturen sicherzustellen. at16_spieler
Über die rechtlichen Rahmenbedingungen des digitalen Outsourcings in Form des Crowdworkings referierte Rechtsanwalt Dietmar Heise, Partner der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH. Dabei werden Aufgaben über digitale Plattformen an die weltweite Internetgemeinde vergeben. Der Referent stuft das Risiko einer Scheinselbständigkeit bei klassischen Crowdworking-Modellen eher gering ein: Weder seien die Crowdworker als Arbeitnehmer des Auftraggebers einzustufen, noch bestehe in der Regel die Gefahr einer verdeckten Arbeitnehmerüberlassung. Ganz auszuschließen sei dies freilich nicht. Im rechtsfreien Raum bewegen sich die Crowdworker gleichwohl nicht – so haben sich große Internetplattformen einen Code of Conduct auferlegt, der die Grundregeln für die Zusammenarbeit regelt. Ob hierdurch den Gefahren des Lohndumpings effizient begegnet werden könne, dürfe indessen mit einem Fragezeichen versehen werden. Neben den Vorteilen des Crowdworkings, die insbesondere in der Flexibilität und der Effizienzsteigerung lägen, lenkt der Referent den Blick darüber hinaus auch auf potentielle Nachteile, die sich aus einem erhöhten Aufwand für die Auswahl der Dienstleister und der Qualitätssicherung ergäben. at16_heise
at16_wiskemann Welche monetären Anreize in der digitalen Arbeitswelt gewinnbringend eingesetzt werden können, erörterte im Anschluss Dr. Gabriel Wiskemann, Vice President Global Total Rewards, SAP SE. Der Referent vertritt einen Gesamtvergütungsansatz, der sich aus den Komponenten Grundgehalt, variable Vergütung und langfristige Anreizsysteme zusammensetzt. Beim Grundgehalt sieht der Referent den Trend in der Abkehr von der anforderungsgerechten, hin zur marktgerechten Vergütung. Die variable Vergütung sei weniger an der individuellen Leistungsbeurteilung, stattdessen mehr am Gesamtergebnis zu orientieren, um der zunehmenden Bedeutung globaler Teamarbeit gerecht zu werden. Langfristige Anreizsysteme seien nicht zwingend monetärer Natur: Auch ein zentral budgetiertes Fortbildungsangebot könne den Wünschen der Digital Natives gerecht werden.
Mit den Herausforderungen für das Compliance Management, die aus der fortschreitenden Digitalisierung resultieren, befasste sich am Nachmittag Dr. Philipp Klarmann, Leiter Compliance und Forensik, Konzernrevision, SAP SE. Die erhebliche Menge an digitalen Daten – auch „Big Data“ genannt – eröffne neuen Formen von Cybercrime Tür und Tor. Zentral sei es, die Kontrolle der Arbeitnehmer mit datenschutzrechtlichen und betriebsverfassungsrechtlichen Anforderungen in Einklang zu bringen, so dass eine umfassende Überwachung nur in anonymisierter Form erfolgen dürfe. Der Referent rät dazu, die Privatnutzung der Betriebs-IT zu untersagen. Gerade hiermit eröffne der Arbeitgeber eine nur schwer beherrschbare Gefahrenquelle. Ein Schlüssel zu einer erfolgreichen Compliance-Organisation seien Betriebsvereinbarungen, die durch offene Kommunikation und transparentes Vorgehen mit dem Betriebsrat zu erzielen seien. at16_klarmann
at16_entzer Dass im Datenschutz eher „2.0“ als „4.0“ gelte, meinte zum Abschluss Frank-Martin Entzer, Konzerndatenschutzbeauftragter der ABB AG, Mannheim. Durch die neue EU-Datenschutzgrundverordnung habe die Kommission ein „bürokratisches Monster“ geschaffen, das aus Unternehmersicht keinerlei Verbesserung und Erleichterung, stattdessen erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringe. Zahlreiche Öffnungsklauseln erschwerten die Rechtsanwendung. Den Unternehmen riet der Referent, die Jahre bis zum Inkrafttreten der Verordnung 2018 gut zu nutzen: Eine kritische Analyse der internen Prozesse, die Überprüfung und gegebenenfalls Nachjustierung von Betriebsvereinbarungen im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der EU-Datenschutzgrundverordnung und die Sicherung von Ressourcen zur Bewältigung der damit verbundenen Aufgaben seien dringend geboten. Im Hinblick auf die gewaltigen Sanktionsandrohungen der EU-Datenschutzgrundverordnung (bis zu 4 % des global erzielten Jahresumsatzes!) dürfte der Ernst der Lage nicht zu verkennen sein. Düster fällt auch die Prognose im Hinblick auf das Privacy-Shield-Abkommen, dem Nachfolgeabkommen zu Safe-Harbour, aus: Der Referent warnt davor, sich bei der grenzüberschreitenden Datenübermittlung in die USA hierauf zu verlassen. Aufgrund der vielfältigen Zugriffsmöglichkeiten der US-Aufsichtsbehörden sei nicht auszuschließen, dass der EuGH erneut zuschlage und auch dieses Abkommen für unwirksam erkläre.
Fazit:
Die digitale Arbeitswelt fordert das Arbeitsrecht heraus. Nicht alles, was technisch-organisatorisch möglich ist, findet auch rechtliche Anerkennung. Freilich wird man tradierte Normen auf den Prüfstand stellen müssen. Dabei die richtige Balance zwischen Freiheit und Bindung zu finden, bleibt ein spannendes Unterfangen.

Constance Karwatzki


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