2015

10. Mannheimer Arbeitsrechtstag zum Thema »Aktuelle Brennpunkte des Arbeitsrechts: 10 Jahre Mannheimer Arbeitsrechtstag«

Vor nunmehr einem Jahrzehnt initiierten Wolfgang Albrecht (Präsident des Arbeitsgerichts Mannheim a.D.) und Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg) den Mannheimer Arbeitsrechtstag, um mit Vertretern von Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften sowie Richtern und Rechtsanwälten faire und praxisgerechte Lösungen für Probleme des Arbeitsrechts zu entwickeln. Beim Jubiläumskongress am 11. März 2015 diskutierten die rund 200 Teilnehmer »Aktuelle Brennpunkte des Arbeitsrechts« und blickten dabei auch auf die Entwicklungen in den letzten 10 Jahren zurück.

at15_maschmann Professor Maschmann skizzierte in seinem Eingangsreferat praxisrelevante Problemfelder des neuen Mindestlohngesetzes und schilderte dessen Konsequenzen auch außerhalb des Niedriglohnbereiches. Da in jedem Entgelt auch ein Mindestlohnanteil von 8,50 € stecke, würden die komplizierten Regelungen des MiLOG über Arbeitszeitkonten und Fälligkeit letztlich für alle Arbeitsverhältnisse gelten. Risikoreich sei die in § 13 MiLoG angeordnete Bürgenhaftung, weil bislang unklar sei, ob jeder Auftraggeber einer Dienstleistung für vorenthaltenen Mindestlohn von Drittfirmenpersonal einzustehen habe oder ob dies nur für Generalunternehmer gelte. Der Vollzug des MiLoG durch den Zoll verstoße gegen Grund- und Menschenrechte, doch empfehle sich bis zur höchstrichterlichen Klärung der offenen Fragen ein konstruktives Verhalten gegenüber den kontrollierenden Beamten. Mit fast 9.000 Personen werde ein weltweit einmaliger Verfolgungsdruck aufgebaut. Das führe dazu, dass neben Verstößen gegen das MiLoG zahlreiche weiter Delikte aufgedeckt würden, wie etwa Scheinselbständigkeit, unzulässige Überschreitungen der Arbeitszeit oder die Nichtabführung von Steuer- und Sozialabgaben.
Die Frage, ob der Freiwilligkeitsvorbehalt passé sei und sich damit neue Herausforderungen für die Vergütungsgestaltung ergäben, stellte sich Rechtsanwältin Dr. Kerstin Reiserer aus Heidelberg. Mit der Darstellung des klassischen Freiwilligkeitsvorbehalts vor 20 Jahren beginnend, zeichnete sie die arbeitsgerichtliche historische Entwicklung des Freiwilligkeitsvorbehalts nach und unterbreitete schließlich Vorschläge für dessen heutige Gestaltung Ferner erörterte sie den Widerrufsvorbehalt als alternatives Flexibilisierungsinstrument. Besonders empfehlenswert seien einseitige Leistungsbestimmungsrechte, mit denen der Arbeitgeber zwar die jährliche Zahlung von Sondervergütungen zusage, deren Höhe aber von Jahr zu Jahr ändere. at15_reiserer
at15_eylert Aktuelle Brennpunkte des Tarifrechts behandelte sodann Dr. Mario Eylert, Vorsitzender Richter des Tarifsenats beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Beginnend mit der Anwendung und Auslegung von Bezugnahmeklauseln, leitete er über zu den OT-Mitgliedschaften und Differenzierungsklauseln, um sich schließlich der Auseinandersetzung um die Tarifeinheit und -pluralität zu widmen. An dem von der Bundesregierung Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Tarifeinheit ließ er kaum ein gutes Haar. Das Gesetz sei in der praktischen Handhabung zu kompliziert und führe auch nicht zum gewünschten Ziel, weil sich Arbeitskämpfe in tarifpluralen Unternehmen damit nicht wirksam bekämpfen ließen.
Gestaltungsmöglichkeiten beim Betriebsübergang beleuchtete sodann Professor Dr. Cord Meyer, Syndikus der Deutschen Bahn AG in Berlin. Zuvorderst die Tatbestandsfragen des § 613a BGB im Blick, wandte er sich sodann den Unterrichtungs- und Widerspruchsrisiken zu, um am Ende die „neuen“ Rechtsfolgen des § 613a BGB zu erörtern, vor allem durch die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Alemo-Herron zur (Nicht-)Fortgeltung von Tarifverträgen beim Erwerber, die er Meyer freudig begrüßte. at15_meyer
at15_franzen Einen Überblick über das europäische Arbeitsrecht verschaffte Professor Dr. Martin Franzen, Inhaber des Lehrstuhls für deutsches, europäisches, internationales Arbeitsrecht und Bürgeliches Recht der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Vorausschickend ging er auf die allgemeinen Grundsätze der EuGH-Rechtsprechung ein. Sodann befasste er sich mit Fragen der Gleichbehandlung, des Betriebsübergangs, der Arbeitszeit und des Urlaubs. Endend gab er einen Ausblick über die Bedeutung der Europäischen Grundrechte-Charta (GRC), die er als eher gering einschätzte.
Mit dem Fremdpersonaleinsatz im Betrieb und dem Umgang mit alten und neuen Restriktionen befasste sich Rechtsanwalt Dr. Mark Lembke, Partner bei der Kanzlei GREENFORT in Frankfurt am Main. Leiharbeit sei deutlich riskanter und teurer geworden, und zwar sowohl für die Verleiher als auch für deren Kunden. Aus anwaltlicher Sicht könne man derzeit einem Unternehmen den Einsatz von Leiharbeitnehmern nicht mehr guten Gewissens empfehlen. Wer vorsichtig agiere, setze im eigenen Betrieb tendenziell kein Fremdpersonal mehr ein. at15_lembke
at15_polzer Probleme rund um verfallbare und unverfallbare Urlaubsansprüche erläuterte zum Schluss Dr. Nikolaus Polzer, Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle in Stuttgart. Den Ausgangspunkt bildete die seit den 80er Jahren – bis zur Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH – andauernde Rechtsprechung des BAG. Polzer stellte die wichtigsten Entscheidungen vor und endete mit einem bemerkenswerten Urteil des LAG Berlin-Brandenburg, das einem ausgeschiedenen Arbeitnehmer Schadensersatz wegen eines nachträglich unmöglich gewordenen Urlaubsanspruchs zugesprochen hatte, weil es der Arbeitgeber schuldhaft unterlassen hatte, ihn auch ohne ausdrücklich erklärten Urlaubswunsch zu beurlauben.
Fazit:
Die Arbeitswelt befindet sich im stetigen Wandel und steht wohl vor dem größten Umbruch der Geschichte, dem Übergang zur Arbeitswelt 4.0. Den sich daraus ergebenden Herausforderungen muss sich das Arbeitsrecht im kommenden Jahrzehnt stellen. Sicher ist, dass auch in der Zukunft europarechtliche Vorgaben und Entscheidung das hergebrachte deutsche Arbeitsrecht beeinflussen. Daher werden dem Mannheimer Arbeitsrechtstag die Themen bestimmt nicht ausgehen.

Frank Kafka,
Rechtsanwalt bei CMS Hasche Sigle, Stuttgart