2014

9. Mannheimer Arbeitsrechtstag zum Thema »Gestaltung und Umgestaltung von Arbeitsbedingungen«

at14_gruening Wandel und Dynamik in Unternehmen stehen im Gegensatz zum Arbeitsverhältnis, das seiner Natur nach eher statisch ist. Das Arbeitsrecht hat die Aufgabe, die Grenzen zwischen Dynamik und Statik zu ziehen und eine gerechte Risikoverteilung zu gewährleisten. Es muss Änderungsinstrumente zur Verfügung stellen, mit dem sich erforderliche Anpassungen rechtssicher bewerkstelligen lassen. Diesem Auftrag wird die gegenwärtige Rechtspraxis nicht gerecht. Die Voraussetzungen und Wirkungen der einzelnen Änderungsinstrumente sind nicht aufeinander abgestimmt. Es fehlt eine stimmige Gesamtdogmatik. Manche Institute haben eine Sonderdogmatik entwickelt, die sich selbst für Experten schwer erschließt. Grund genug, das Thema „Gestaltung und Umgestaltung von Arbeitsbedingungen“ auf dem Mannheimer Kongress unter Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann zu diskutieren, an dem dieses Jahr knapp 200 Experten aus Unternehmen und Verbänden, wie auch zahlreiche Richter und Rechtsanwälte teilnahmen.
Reiner Grüning, Head of Labor Law and Legal der BASF SE, betonte die Notwendigkeit der Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen insbesondere zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens sowie zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen. Tätigkeit, Arbeitsort und Arbeitszeit ließen sich bereits durch das allgemeine Weisungsrecht des Arbeitgebers bestimmen. Ob ein „schlanker Arbeitsvertrag“ ein geeignetes Mittel zur Flexibilisierung sei, könne jedoch nicht allgemein, sondern ausschließlich anhand der Besonderheiten des Einzelfalls beantwortet werden. Häufig werden die arbeitsvertraglichen Klauseln aber ohnehin nur die nach § 106 GewO geltende Rechtslage wiedergeben. So sei es beispielsweise nicht erforderlich, detaillierte Regelungen zum Arbeitsort oder zur Lage der Arbeitszeit in den Vertrag aufzunehmen. Allzu weiten Formulierungen stünde allerdings das AGB-rechtliche Transparenzgebot entgegen. Werde jedoch allzu konkret formuliert, entstehe der Nachteil, dass die Klauseln einer späteren Änderung im Wege des Weisungsrechts entzogen seien. Schwierigkeiten bereite der Praxis die Konzernversetzung: Da sie nicht im Wege des Weisungsrechts möglich sei, müsse eine detaillierte Regelung in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Einen konzerninternen Arbeitgeberwechsel könne sich der Arbeitgeber aber nicht vorbehalten. at14_gruening
at14_mueller Die AGB-rechtlichen Fallstricke bei der Formulierung von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalten sowie bei der Befristung von Vergütungsregelungen veranschaulichte sodann Reiner Müller, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg. Insbesondere das AGB-rechtliche Transparenzgebot stelle die Praxis vor große Herausforderungen. Bei der Ausgestaltung von Klauseln könnten bereits einzelne „falsche“ Worte zur Intransparenz führen, etwa eine Vermischung von Freiwilligkeits- und Widerrufsvorbehalt oder zu weit gefasste Widerrufsgründe bei Dienstwagenregelungen. Da eine geltungserhaltende Reduktion unwirksamer Klauseln ausscheide, könne zumindest bei Altverträgen im Einzelfall lediglich eine ergänzende Vertragsauslegung weiterhelfen. Dies gelte jedoch nicht, wenn beispielsweise die entsprechende AGB-rechtliche Norm – wie die Unklarheitenregel des § 305c BGB – bereits im alten Schuldrecht auch auf Arbeitsverträge Anwendung gefunden habe. Kein leichtes Unterfangen sei auch die Befristung von Vergütungsregelungen. Diese bemesse sich zwar nicht nach den Voraussetzungen des TzBfG, doch finde § 14 TzBfG über das allgemeine Benachteiligungsverbot des § 307 BGB Eingang in die AGB-Kontrolle. Die Feststellung, welcher Sachgrund im Einzelfall die Befristung stütze, sei für den Rechtsanwender regelmäßig mit erheblichen Unsicherheiten belastet.
Dass die Herstellung innerbetrieblicher Lohngerechtigkeit seit der Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit durch das BAG im Jahr 2010 die Praxis vor schier unlösbare Probleme stellt, betonte Gabriel Berger, Leiter Arbeitsrecht bei Südwestmetall in Stuttgart. So lasse sich in einm tarifpluralen Betrieb kaum rechtssicher feststellen, welcher Tarifvertrag in welchem Umfang eine Sperrwirkung bei § 87 BetrVG entfalte. Vorzugswürdig erscheine, die Sperrwirkung jeweils nach der Gewerkschaftszugehörigkeit des einzelnen betroffen Arbeitnehmers zu bestimmen. Dazu müsste dem Arbeitgeber allerdings ein Fragerecht hinsichtlich der Gewerkschaftszugehörigkeit zugebilligt werden. Kritisch betrachtete Berger die Entscheidung des BAG vom 4.5.2011 – 7 ABR 10/10, wonach es für die betriebliche Mitbestimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG nicht auf einen Anspruch des einzelnen Arbeitnehmers auf die Anwendung des Tarifvertrags ankomme, sondern allein darauf, ob die Vergütungsordnung im Betrieb gelte. Das Nebeneinander verschiedener Entgeltsysteme sei bereits in § 4 TVG angelegt. at14_berger
at14_winstel Mit der Teilkündigung von Kollektivvereinbarungen als neuem, der Praxis weitgehend unbekanntem Flexibilisierungsinstrument, befasste sich Rechtsanwalt Dr. Marc Winstel, Partner von wuertenberger – Partnerschaft von Rechtsanwälten in Stuttgart. Während die Teilkündigung von Arbeitsverhältnissen und Tarifverträgen unzulässig sei, komme ihr bei Betriebsvereinbarungen ein breiter Anwendungsspielraum zu. Die Teilkündigung ermögliche nicht nur die Kündigung einzelner Bestandteile eines Gesamtregelungskomplexes, sondern auch eine Einschränkung des betrieblichen Anwendungsbereichs, d.h. das Herauskündigen eines Betriebs aus dem Anwendungsbereich einer Gesamtbetriebsvereinbarung. Sinnvoll sei eine solche Teilkündigung aber ausschließlich, wenn es nicht zu einer Nachwirkung nach § 77 Abs. 6 BetrVG komme. Bei teilmitbestimmten Gegenständen, etwa bei § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, müsse daher eine „Kündigung zur Einstellung“ erklärt werden. Um dem kollektiven Gleichbehandlungsgrundsatz des § 75 Abs. 1 BetrVG Rechnung zu tragen, bedürfe die Teilkündigung in Abweichung von § 77 Abs. 5 BetrVG eines sachlichen Grundes. Ferner dürfe es nicht zu einer unzulässigen Kompetenzverschiebung zwischen Gesamt- und örtlichem Betriebsrat kommen. Interessant sei nach der Entscheidung des BAG vom 5.3.2013 – 1 AZR 417/12 ferner eine Kombination von ablösender Betriebsvereinbarung und Teilkündigung. Künftig könnte es heißen: „Erst ablösen, dann teilkündigen“.
Dass eine Änderungskündigung kein leichtes Unterfangen ist, veranschaulichte Burghard Kreft, Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht. Die dogmatisch wohl schwierigste Frage sei die Änderungskündigung zur Entgeltsenkung. Da diese im Gegensatz zur Beendigungskündigung einen gravierenden Eingriff in das vertragliche Synallagma darstelle, könne sie nur unter strengen Voraussetzungen zulässig sein, insbesondere bei Unrentabilität des Betriebs. Da das Sanierungskonzept der richterlichen Kontrolle unterliege, gelte es für die Praxis vollumfängliche Transparenz bezüglich der gegenwärtigen wirtschaftlichen Situation, der erforderlichen Sanierungsmaßnahmen und der Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung herzustellen. Kritik übte Kreft an der ständigen Rechtsprechung, dass ein vorfristiges Änderungsangebot zwingend unwirksam sein soll. Dies stelle einen Widerspruch zur Beendigungskündigung dar, bei der eine genaue Kenntnis der Frist nicht erforderlich ist, obwohl weitreichendere Folgen als bei der Änderungskündigung drohen. Vielmehr sei das Änderungsangebot im Wege der Auslegung daraufhin zu überprüfen, ob es auch noch zu einem späteren Zeitpunkt gelten solle. Kreft wies abschließend noch auf eine Änderung der Rechtsprechung hinsichtlich des zulässigen Antrags bei einer Änderungsschutzklage hin. Wolle der Arbeitnehmer nicht nur die soziale Rechtfertigung des Änderungsangebots, sondern auch die Wirksamkeit der Kündigung gerichtlich überprüfen lassen, müsse er dies ausdrücklich und zusätzlich zum Feststellungsantrag nach § 4 Satz 2 KSchG beantragen. at14_kreft
at14_heise Mit den Folgen der „Renaissance“ der ablösenden Betriebsvereinbarung setzte sich Dr. Dietmar Heise, Partner bei der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft in Stuttgart, auseinander. Die Rechtsprechungsänderung des BAG vom 5.3.2013 – 1 AZR 417/12, wonach sämtliche als AGB formulierte Arbeitsverträge betriebsvereinbarungsoffen gestaltet sein sollen, sei dogmatisch fragwürdig. Die Entscheidung vernachlässige die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB sowie das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ersetze den kollektiven Bezug der Leistung durch die Kollektivität der Regelung. Ob das BAG diese Rechtsprechung künftig weiterverfolgen werde, sei offen. Unabhängig hiervon leiste die Rechtsprechungsänderung jedenfalls keinen Vorschub für einen „schlanken“ Arbeitsvertrag. Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht sollten auch künftig Öffnungsklauseln oder Verweisungsklauseln in den Arbeitsvertrag aufgenommen werden. Bei der Verweisungsklausel sei darauf zu achten, diese präzise zu fassen, allzu umfassend gestaltete dynamische Verweisungen zu vermeiden und zu berücksichtigen, dass es bei einem Wegfall der Betriebsvereinbarung nicht zu Vertragslücken komme.
Um im globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, sind Unternehmen vielfach darauf angewiesen, die Personalkosten zu senken. Ein Weg dahin ist die Leiharbeit oder die „Flucht in den Werkvertrag“. Mit welchen Herausforderungen der Arbeitgeber beim Fremdpersonaleinsatz konfrontiert ist, erläuterte Prof. Dr. Wolfgang Hamann, Universität Duisburg-Essen. Nach wie vor schwierig sei die Abgrenzung der Leiharbeit von der Industriedienstleistung im konkreten Einzelfall. Um sich vor bösen Überraschungen zu schützen, besorgten sich viele Industriedienstleister eine Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Diese sollte aber laut Hamann nur bei offener Arbeitnehmerüberlassung erteilt werden. Arbeitnehmerüberlassung werde indes häufig verdeckt: entweder durch zwischengeschaltete Aufsichtspersonen oder durch Rahmenverträge mit Einzelbestellungen. Dadurch werde versucht, die für den AÜG-Vertrag typischer Übertragung des arbeitgeberseitigen Weisungsrechts auf den Entleiher zu kaschieren. Kontrollfrage sei aber letztlich, wer die Tätigkeit der Fremdfirmenarbeiter vor Ort organsiere und steuere: Bei der Arbeitnehmerüberlassung sei das der Einsatzbetrieb („der Entleiher“), beim Werkvertrag der Dienstleister. Die aktuellen Reformbestrebungen, etwa die Statuierung einer gesetzlichen Vermutungsregelung, hält Hamann nicht für zielführend. at14_hamann

 

Fazit:
Die Ge- und Umgestaltung von Arbeitsbedingungen stellt die Kautelarpraxis vor große Herausforderungen. Bei der Formulierung von Klauseln sind insbesondere die „Spielregeln“ des AGB-Rechts im Auge zu behalten. Für die Zukunft gilt es, die einzelnen Flexibilisierungsinstrumente in ein stimmiges Gesamtkonzept einzuordnen.

 
Bericht:
Christopher Fischer und Julia Güthling