2013

8. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2013 zum Thema »Kündigungsrecht: alte und neue Fragen«

Unsicherheit zwischen Fachkräftemangel und Massenentlassungen: so lässt sich die Lage auf dem deutschen Arbeitsmarkt Anfang 2013 charakterisieren. Im IT-Bereich, dem nach der Metall- und Elektroindustrie zweitgrößten Wirtschaftszweig sind 43.000 der über 900.000 Stellen unbesetzt. Andere Unternehmen bauen massiv Personal ab: Thyssen-Krupp 2000 Arbeitsplätze, die Commerzbank 6000, Siemens gar 10.000. Wieder andere fahren nur »auf Sicht«. Davon profitiert die Zeitarbeitsbranche, in der mittlerweile 800.000 Arbeitnehmer beschäftigt sind: beinahe 3 % aller Sozialversicherungspflichtigen und dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Dynamik gehört zum Prinzip. Allein im ersten Halbjahr 2012 wurden eine halbe Million Zeitarbeitsverträge neu geschlossen und wieder beendet, knapp die Hälfte nach weniger als drei Monaten.Der normale Arbeitsmarkt ist davon weit entfernt. Das Normalarbeitsverhältnis ist bestandsgeschützt und die Kündigung ein schwieriges Unterfangen. Nicht der Gesetzgeber, sondern die Rechtsprechung hat die Entwicklung des Kündigungsrechts geprägt, vor allem durch spektakuläre Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) und des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Sie waren Gegenstand des 8. Mannheimer Arbeitsrechtstages, bei dem am 13. März 2013 die rund 300 teilnehmenden Richter, Anwälte, Personalpraktiker und Vertreter von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden neueste Tendenzen im Kündigungsrechts diskutierten.
Prof. Dr. Eibe Riedel, Mannheimer Ordinarius für Völkerrecht und als Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der Vereinten Nationen in Genf einer der profiliertesten Experten für universelle und europäische Menschenrechte, demonstrierte den immer stärker werdenden Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf das Deutsche Kündigungsrecht. Mit den Entscheidungen »Heinisch«, »Schüth« und »Siebenhaar« habe der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) ins Gedächtnis zurückgerufen, dass die Bundesrepublik Deutschland die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) unterzeichnet habe, die ähnlich wie das Grundgesetz das Recht auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Koalitionsfreiheit kenne, die auch im Arbeitsverhältnis reklamiert werden könnten. Zwar genieße die EMRK in Deutschland nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes und könne deshalb auch nicht die Regelungen des KSchG verdrängen. Gleichwohl sei die Bundesrepublik zu einer EMRK-freundlichen Auslegung des nationalen Rechts verpflichtet. Dass damit der EGMR zu einer Superrevisionsinstanz wird, die das deutsche Kündigungsrecht auf den Kopf stellt, weil entsprechende Urteile aus Straßburg nach der neu gestalteten Vorschrift des §580 Nr. 8 ZPO die Wiederaufnahme eines in Deutschland bereits rechtskräftig abgeschlossenen Kündigungsprozesses erlauben, befürchtet Riedel allerdings nicht, weil sich die Gerichte mittlerweile informell abstimmen. Freilich sei es wichtiger denn je, die Abwägung menschenrechtlich geschützter Interessen besonders sorgfältig und transparent vorzunehmen. at13_riedel
at13_stoffels Großes Aufsehen erregte die »Emmely«-Entscheidung des BAG vom 10.6.2010 (NZA 2010, 1227). Seitdem muss das Verhältnis von Abmahnung und Verdachtskündigung zumindest dann überdacht werden, wenn langjährig Beschäftigte fast wertlose Gegenstände (»Leergutbons«, »Maultaschen«) stehlen, wie sodann Prof. Dr. Markus Stoffels, Heidelberger Ordinarius für Arbeitsrecht, in seinem Referat erläuterte. Die von der Literatur neu ins Spiel gebrachte »Verdachtsabmahnung« lehnte er aus systematischen Gründen ab. Die Verdachtskündigung werde wegen Vertrauensverlustes und nicht wegen einer vorwerfbaren und damit abmahnfähigen Vertragsverletzung ausgesprochen. Nicht zu verkennen sei allerdings die Tendenz einiger Gerichte, die Anforderungen an die vor Ausspruch einer Verdachtskündigung obligatorische Anhörung zu erhöhen. Laut LAG Berlin-Brandenburg muss dem Verdächtigen rechtzeitig der Gegenstand der Anhörung mitgeteilt werden, damit er sich ausreichend vorbereiten kann. Auf Wunsch sei ihm die Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds oder eines Rechtsanwaltes zu gestatten. Werde dies versagt, sollen sich Stoffels zufolge Aussagen in einem späteren Kündigungsschutzprozess nicht gegen ihn verwenden lassen.
Dass eine personenbedingte Kündigung kein leichtes Unterfangen ist, vor allem, wenn sie einen Low Performer betrifft, ist bekannt. Leistungsmängel können eine Kündigung rechtfertigen, müssen aber sorgfältig dokumentiert werden. Dr. Till Hoffmann-Remy, Rechtsanwalt im Frankfurter Büro der Kanzlei Kliemt & Vollstädt, empfahl hierzu eine »Korrekturvereinbarung«. Diese steht als neues personalwirtschaftliches Instrument zwischen Abmahnung und Zielvereinbarung. Außerdem soll sie den streitigen Sachverhalt für beide Parteien verbindlich klären. Im zweiten Teil seines Referats nahm er das Betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX – kurz »BEM« genannt unter die Lupe, das der Gesetzgeber als besondere Ausprägung des kündigungsrechtlichen ultima-ratio-Prinzips leider nur sehr vage ausgestaltet hat. Hier wird seit neuestem diskutiert, ob Daten, die beim »BEM« gesammelt werden, auch kündigungsrechtlich verwendbar sind. Das ist – wie der Referent zutreffend bemerkte grundsätzlich der Fall, weil das BEM »ergebnisoffen« geführt wird und § 32 BDSG die Datenerhebung und -verwendung auch zum Zwecke der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erlaubt. Sicherer sei es, zusätzlich die Einwilligung des Arbeitnehmers einzuholen, die aber eine vorherige Belehrung über die beabsichtigten Verwendungszwecke erfordere. at13_hoffmann_remy
at13_schmitz_scholemann Mit welchen Herausforderungen der Arbeitgeber bei Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung konfrontiert sei, zeigte Christoph Schmitz-Scholemann, Richter am Bundesarbeitsgericht, eindrücklich auf. Mit klaren Worten richtete er seinen Appell an den Gesetzgeber, dessen Tätigwerden dringend gefragt sei. So gelinge dem Arbeitgeber in der aktuellen Rechtslage die rechtswirksame Durchführung von Massenkündigungen nur aus scheinbar unergründlichen Zufällen. Vehement richtete er sich gegen die Forderung, die unternehmerische Entscheidung des Arbeitgebers gerichtlich zu überprüfen. Dieser läge stets ein spekulatives Element zugrunde, das einer Überprüfung nicht zugänglich sei.
Dass eine Änderungskündigung nicht selten höhere Anforderungen an die Begründungslast stellt als eine Beendigungskündigung, wird in der Literatur mit Recht beklagt. Neue Stolpersteine tun sich auf. Dazu gehört die Überflüssigkeit der Änderungskündigung, wenn der Arbeitgeber die Arbeitsbedingung schon per Weisungsrecht ändern könnte, er aber trotzdem kündigt. Ein gangbarer Weg wäre laut Prof. Dr. Friedhelm Rost, langjähriger Vorsitzender Richter des Kündigungssenats des BAG, die Änderungskündigung nur vorsorglich auszusprechen; allerdings müsste die der Arbeitnehmer mit der Kündigungsschutzklage bekämpfen, die er freilich nur unbedingt erheben kann. Noch schwieriger wird es, wenn der Arbeitgeber eine Änderungskündigung zur Versetzung erklärt, der der Betriebsrat nicht zuvor zugestimmt hat. Hier »rächt« es sich, dass laut BAG die Zustimmung nach § 99 Abs. 1 BetrVG Wirksamkeitsvoraussetzung nicht für die Kündigung, sondern nur für die tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers an einem anderen Arbeitsplatz ist. Problematisch wird diese Trennung, wenn Kündigungsschutz- und Zustimmungsersetzungsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind mit dem Ergebnis, dass die Änderungskündigung für sozial gerechtfertigt befunden, die vom Betriebsrat verweigerte Zustimmung zur Versetzung aber nicht ersetzt wird. Obwohl der Vertragsinhalt nunmehr geändert ist, kann der Arbeitgeber die Versetzung nicht vollziehen. Rost zufolge ist hier von einer »dauernden Unmöglichkeit der Realisierung« der Versetzung auszugehen, sobald beide Verfahren rechtskräftig abgeschlossen sind. Wollte man vom Arbeitgeber bis zur Grenze des Rechtsmissbrauchs verlangen, die rechtskräftig verweigerte Zustimmung zur Versetzung doch noch zu erreichen, würde dies zu einer unzumutbaren »Hängepartie« führen, die mit der Entkoppelung von Kündigungsschutzverfahren und Zustimmungsersetzungsverfahren gerade vermieden werden sollte. at13_rost
at13_tillmanns Dass auch der Kündigungsschutzprozess seine Fallstricke hat, wissen Anwälte aus täglicher Praxis. Wie man die gröbsten Fehler vermeidet, die häufig schon mit der Versäumung der Klagefrist und der Falschbezeichnung des Beklagten beginnen, erläuterte Christoph Tillmanns, Vorsitzender Richter am LAG Baden-Württemberg. In seinem Referat ging er des Weiteren auf die vor allem bei der betriebsbedingten Kündigung subtil verteilte Darlegungs- und Beweislast im Prozess ein, die neue Fehlerquellen schafft. Wer zu Abwendung der Rechtsfolgen des Annahmeverzugs ein (befristetes) Prozessbeschäftigungsverhältnis vereinbare, sollte laut Tillmanns an ein ordentliches Kündigungsrecht denken, um dieses rechtzeitig zu beenden.
Den Quisquilien des Kündigungsrechts entkommt der Arbeitgeber, wenn er dem Arbeitnehmer einen Aufhebungsvertrag anbietet. Freilich führt das zu Folgeproblemen, vor allem beim Bezug des Arbeitslosengeldes. Bekanntlich muss die Arbeitsagentur gegen den freiwillig aus dem Arbeitsverhältnis Ausgeschiedenen eine zwölfwöchige Sperrzeit verhängen, wenn der dann arbeitslos Gewordene keinen wichtigen Grund für den Abschluss des Aufhebungsvertrags hatte. Welche Gründe die Arbeitsagentur anerkennt und welche Rolle in diesem Zusammenhang die im Jahre 2004 kodifizierte »Abfindungskündigung« nach § 1a KSchG spielt, diskutierte Rechtsanwalt Michael Eckert aus Heidelberg. Sein Rat: Wer dem Arbeitnehmer als Abfindung bei einem Aufhebungs- oder Abwicklungsvertrag 0,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr anbiete, sei bei Sperrzeiten auf der sicheren Seite. at13_eckert

 

Fazit:
Das Kündigungsrecht ist weiter in Bewegung. Die Rechtsprechung türmt Stein auf Stein und der Gesetzgeber schaut tatenlos zu. Sicherer wird dieses ohnehin komplizierte Rechtsgebiet damit nicht, nur komplizierter und noch weniger berechenbar. Auch das kann gewollt sein.Wie bereits in der vergangenen Jahren können die Referate auch diesmal wieder in einem beim Nomos Verlag erscheinenden Tagungsband nachgelesen werden, der voraussichtlich ab August 2013 erhältlich ist.