2011

6. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2011 zum Thema »Rigidität und Flexibilität im Arbeitsrecht«

Das Spannungsverhältnis zwischen „Rigidität und Flexibilität im Arbeitsrecht“ loteten die knapp 200 Teilnehmer aus, die sich unter Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann nun schon zum sechsten Mal zum Mannheimer Arbeitsrechtstag versammelt hatten. Während die Möglichkeiten, Arbeitsbedingungen flexibel zu gestalten, durch eine rigide AGB-Rechtsprechung immer stärker beschnitten werden, werden an anderer Stelle stabile Verhältnisse beseitigt, wie etwa durch die Aufgabe des Grundsatzes der Tarifeinheit im Betrieb.

Die Vorträge können in einem Tagungsband nachgelesen werden, der im Sommer 2011 erschienen ist.

Zum Auftakt der Tagung kritisierte RA Reiner Grüning, Leiter der Abteilung Arbeitsrecht der BASF SE in Ludwigshafen, in seinem Referat „Datenschutz, Diskriminierungsschutz, Compliance“ die immense Verrechtlichung des Einstellungsverfahrens. Die geplanten Neuerungen zum Arbeitnehmerdatenschutz ließen nach wie vor brisante datenschutzrechtliche Fragen unbeantwortet. Die Novelle setze noch nicht einmal die gefestigte Rechtsprechung des BAG um. Sie verzichte etwa darauf, zu regeln, ob die Frage nach der Schwangerschaft zulässig sei. Auch die aktuell diskutierte Frauenquote schränke den Arbeitgeber zu sehr ein. Gewollt sei „diversity“ bei der Besetzung von Posten; dem stehe eine starre Quote, welche dem Geschlecht als nur einem von vielen Auswahlkriterien eine Sonderstellung einräume, entgegen. Die Ursachen für die Unterrepräsentanz von Frauen in Führungspositionen seien zudem vielfältig und nicht nur durch Unternehmen steuerbar. Bild_Referent
Bild_Referent RA Prof. Dr. Ulrich Tödtmann, Honorarprofessor an der Universität Mannheim, beklagte unterdessen, dass es dem Arbeitgeber zusehends erschwert werde, Inhalt und Ort der geschuldeten Arbeitsleistung den aktuellen Bedürfnissen anzupassen. Immer wichtiger würden Konzernversetzungsklauseln, deren Wirksamkeit wegen der Besonderheiten im Arbeitsrecht aber nicht anhand von § 309 Nr. 10 BGB beurteilt werden könne, sondern sich nach der Generalklausel des § 307 BGB richte. Einen konzerninternen Arbeitgeberwechsel könne sich der Arbeitgeber nicht vorbehalten; zulässig sei allenfalls der Vorbehalt einer vorübergehenden Abordnung zu einem anderen Konzernunternehmen.
RA Marcus Bodem, Kanzlei ECOVIS HMW in Berlin, befasste sich im Anschluss mit alternativen Arbeitszeitkonzepten, wie Vertrauensarbeitszeit, Arbeit auf Abruf und Zeitkonten. Der damit bezweckten Abwälzung des (Nicht-)Beschäftigungsrisikos auf den Arbeitnehmer habe das BAG enge Grenzen gesetzt. Überdies hielten Klauseln, nach denen sämtliche Mehrarbeit pauschal durch das Gehalt abgegolten seien, einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 ff BGB nicht mehr stand. Mehr noch: Nach neuester instanzgerichtlicher Rechtsprechung könne der beweispflichtige Arbeitnehmer das Ableisten von Überstunden bereits durch das nachvollziehbare Auflisten seiner Arbeitszeiten belegen. Ein substantiiertes Bestreiten des Arbeitgebers gestalte sich denkbar schwer. Ihm bleibe nur, die Arbeitszeiten stetig zu kontrollieren. Bild_Referent
Bild_Referent Größer seien die Spielräume für eine flexible Vergütung nach dem Erfolg, wie Frank Woitaschek, Präsident des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main, verdeutlichte. Nach anfänglichen Irritationen habe die Rechtsprechung für die Gestaltung von Sonderzuwendungen praxistaugliche Regeln aufgestellt. Noch nicht höchstrichterlich geklärt seien die Möglichkeiten, Sonderzuwendungen nach den Regeln für die Befristung einzelner Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Nach wie vor heikel sei die Mitbestimmung. Der Betriebsrat dürfe bekanntlich nur über das „Wie“, nicht über das „Ob“ der Lohngestaltung mit befinden. Das bereite in gegen den Willen des Arbeitgebers durchgeführten Einigungsstellenverfahren erhebliche Probleme.
Bundesrichter Malte Creutzfeldt, stellvertretender Vorsitzender des Tarifsenats des Bundesarbeitsgerichts, erläuterte sodann, warum das Gericht vom Grundsatz „ein Betrieb – eine Gewerkschaft – ein Tarifvertrag“ Abstand genommen habe. Er konzedierte, dass die „neue Freiheit“ eines tarifpluralen Betriebs für Unsicherheit sorge, nicht zuletzt für die Gestaltung arbeitsvertraglicher Bezugnahmeklauseln. Viele Probleme könnten aber durch eine kluge Formulierung gelöst werden. Dem Arbeitgeber stünde es frei, die bisherige Rechtsprechung, die in Bezugnahmeklauseln vor allem Abreden zur Gleichstellung von nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeitnehmer mit den Gewerkschaftsmitgliedern ausdrücklich in die Klausel aufzunehmen. So könnten die tariflichen Folgen eines Verbandswechsels, eines Austritts aus dem Arbeitgeberverband oder eines Betriebsverkaufs an einen nicht tarifgebundenen Erwerber ausdrücklich geregelt werden. Bild_Referent
Bild_Referent Mit der Zulässigkeit arbeitsrechtlicher Altersgrenzen beschäftigte sich Prof. Dr. Raimund Waltermann, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Sozialrecht an der Universität Bonn. Er kritisierte, dass EuGH und BAG die automatische Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Altersgrenze für legitim erklärten. Der demographische Wandel verlange, die Einschätzung zu überdenken. Überdies drohe vielen Geringverdienern bittere Altersarmut, die sie zwinge, über die Regelaltersgrenze hinaus zu arbeiten. Waltermann plädierte daher dafür, die starre Altersrente durch einen arbeitnehmerseitigen Anspruch auf Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Regelaltersgrenze abzulösen.
Das „Glück der Zeitarbeit“ sei fragil“, meinte RA Dr. Mark Lembke, Kanzlei Greenfort in Frankfurt a.M. in seinem Abschlussreferat. Als „Königsweg“ aus arbeitsrechtlicher Rigidität sei sie nur noch bedingt empfehlenswert. Da das BAG die Christliche Gewerkschaft der Zeitarbeitnehmer für nicht tariffähig erklärt habe, seien die von ihr geschlossenen Tarifverträge unwirksam. Mangels Vertrauensschutzes drohten den Zeitarbeitsunternehmen nun Nachzahlungen in Milliardenhöhe, weil es beim Grundsatz der Gleichbehandlung von Stamm- und Leiharbeitnehmern bleibe. Obendrein würden rückwirkend Sozialversicherungsbeiträge fällig, für die bei Ausfall der Verleihunternehmen die Einsatzbetriebe qua Subsidiärhaftung zur Kasse gebeten würden. Die tariflichen Ausschlussfristen würden nur für die Stamm- nicht aber für die Leiharbeitnehmer gelten. Neue Rigidität drohe durch den Mindestlohn, der zum 1. Mai 2011 für die Leiharbeitsbranche gelten soll – rechtzeitig zu Beginn der vollen Arbeitnehmerfreizügigkeit für polnische, tschechische und slowakische Arbeitnehmer, die als Billiglöhner nach Deutschland entsandt werden sollten. Bild_Referent

 

Fazit:

Stabile Beschäftigung lässt sich auf Dauer nur mit flexiblen Arbeitsbedingungen realisieren. Das haben Gesetzgeber und Rechtsprechung mittlerweile akzeptiert – freilich nur vordergründig. In Wahrheit wird das Arbeitsrecht Stück für Stück rigider.