2008

3. Mannheimer Arbeitsrechtstag 2008 zum Thema »Wege und Abwege in der Betriebsverfassung«

Betriebsräte auf Lustreisen – Vorstände hinter Gittern: Korruption statt Konfrontation? Schmusekurs statt Klassenkampf? Auf welche Abwege ist die betriebliche Mitbestimmung geraten und wie finden wir den Weg zurück? Mit diesen Fragen beschäftigten sich die 150 Teilnehmer des dritten Mannheimer Arbeitsrechtstages im März dieses Jahres. Unter der Leitung von Prof. Dr. Frank Maschmann, Direktor des Instituts für Unternehmensrecht der Universität Mannheim und Mitglied des Publizistischen Beirats der AuA, diskutierten Personalverantwortliche, Betriebsräte, Rechtsanwälte, Richter und Wissenschaftler, ob die betriebliche Mitbestimmung noch funktionsgerecht ist und wo Änderungsbedarf besteht.
Ob die Vorfälle bei VW nur eine einmalige Entgleisung eines allzu gierigen Arbeitnehmer-Funktionärs waren oder die Spitze eines Eisbergs ungeahnten Ausmaßes sind, ist schwer zu sagen. Um so wichtiger sei es, über Chancen und Grenzen einer Professionalisierung der Betriebsratsarbeit nachzudenken, betonte Prof. Maschmann in seinem Eingangsreferat und skizzierte aktuelle Reformvorschläge: Der Betriebsrat als berufsmäßiger Co-Manager mit entsprechendem Gehalt einer Führungskraft? Aufgabe des Ehrenamtsprinzip zugunsten von Diäten wie bei Politikern? Inkompatibilität von Aufsichtsratsmandat und Betriebsratsamt zur Vermeidung von Machtmissbrauch durch Verbot von Koppelungsgeschäften (Besuch nicht zwingend notwendiger Schulungsveranstaltungen gegen wohlgefällige Ausübung von Mitbestimmungrechten)? Transparenz bei der Ausübung von Mitbestimmungsrechten durch Begründungszwang und Offenlegung des Abstimmungsverhaltens? Bild_Referent
Bild_Referent Im Anschluss daran gewährte Georg Nassauer, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Nokia-Siemens-Networks, die im letzten Jahr aus der Netzwerksparte des Siemens-Konzern ausgegliedert wurde und derzeit über 20.000 Mitarbeiter beschäftigt, Einblicke in die Betriebsratsarbeit bei einem Großunternehmen. In seinem Vortrag „Mitbestimmung managen“ schilderte er anschaulich die Herausforderungen eines sich rasant verändernden Umfelds für die Betriebsratsarbeit. Globalisierung, Kapitalmarktorientierung und damit einhergehende feindliche Übernahmen sowie Produktionsverlagerungen an low-cost-Standorte seien an der Tagesordnung vieler Unternehmen. Sich als Betriebsrat den notwendigen Anpassungen zu verweigern, mache keinen Sinn, so Nassauer. Wichtiger sei es, unvermeidliche Restrukturierungsprozesse aktiv zu begleiten. Dazu brauche es aber qualifizierte und gut informierte Betriebsräte, die auf gleicher Augenhöhe mit dem Arbeitgeber verhandeln könnten.
Dem spannenden Thema „Korruption ./. Rechtsmissbrauch: Compliance in der Betriebsverfassung“ nahm sich danach Prof. Dr. Gerrick v. Hoyningen-Huene von der Universität Heidelberg an und lotete dabei die Grenze zwischen Erlaubtem und Verbotenem bei der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat aus. Nur für die wirklich krassen Fälle von Korruption bieten die §§ 78 Satz 2 und 119 Abs. 1 BetrVG eine Handhabe. In der Grauzone fehle es dagegen an überzeugenden Maßstäben. Rechtsmissbrauch durch Betriebsräte möge in der Praxis vorkommen; solange aber keine Straftatbestände – wie etwa Nötigung – verwirklicht würden, seien auch „Koppelungsgeschäfte“ nur Ausdruck der Vertragsfreiheit der Betriebsparteien; Mitbestimmung sei ein „fremdnütziges Geschäft“, der Betriebsrat Mitgestalter und Vertragspartner. Notfalls müssten Arbeitsgericht oder Einigungsstelle den Parteien helfen. Compliance-Regeln zur Überwachung der Betriebsratsarbeit lehnte von Hoyningen-Huene strikt ab. Bild_Referent
Bild_Referent Die Gestaltung von Arbeitsbedingungen durch Betriebsvereinbarung pries danach Dr. Rolf-Achim Eich, ehemaliger Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes HessenChemie. Sein Referat „Betriebsvereinbarung – das verkannte Medium“ verdeutlichte ihre Vorteile gegenüber dem Arbeitsvertrag: schnell, flexibel und von hoher Akzeptanz bei der Belegschaft, insbesondere dort, wo trotz des Vorbehalts nach § 77 Abs. 3 BetrVG durch tarifliche Öffnungsklauseln Betriebsvereinbarungen möglich seien und wegen § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ohne richterliche Angemessenheitskontrolle, die auch nicht über die Hintertür des § 75 Abs. 2 BetrVG betrieben werden könne. Freilich dürfe durch Betriebsvereinbarung nicht in günstigere Individualabreden eingegriffen werden. Eich empfahl deshalb, Klauseln im Arbeitsvertrag künftig „betriebsvereinbarungsoffen“ auszugestalten. Darin liege weder ein Verstoß gegen das Transparenzgebot noch gegen das Angemessenheitsprinzip des § 307 Abs. 1 BGB.
Voraussetzung für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen ist jedoch der Konsens der Betriebsparteien. Haben Arbeitgeber und Betriebsrat Schwierigkeiten im persönlichen Umgang miteinander, ist die Wahrscheinlichkeit, bei Interessengegensätzen aneinander zu geraten, hoch. Umso wichtiger sei es, dass die Parteien ihre Meinungsverschiedenheiten in geordneter Form austragen könnten, wie Privatdozent Dr. Martin Becker, zugleich Richter am Arbeitsgericht in Frankfurt/Main und Mediator, unterstrich. Zwar sähe das BetrVG die Einigungsstelle als Schlichtungsinstanz vor; besser sei es aber, sich innerbetrieblich zu einigen. Einigungsstellenverfahren seien bekanntlich zeitaufwändig, kostenintensiv und produzierten Lösungen, mit denen beide Betriebsparteien häufig wenig glücklich seien, wie die vielen Gerichtsverfahren belegten, mit denen die Schiedssprüche später zu Fall gebracht würden. Becker plädierte dafür, sich ausreichend Zeit für die Verhandlungen zu nehmen und sich rasch von vorgefassten Meinungen zu trennen. Hilfreich sei es, sich mit vier Hauptthesen des Betriebsrats auseinanderzusetzen und diese kritisch zu hinterfragen. Bild_Referent
Den Abschluss der Tagung bildete eine Podiumsdiskussion unter Leitung von Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Hromadka von der Universität Passau. Teilnehmer waren Dr. Norbert Gulmo, Betriebsrats- und Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Freudenberg Vliesstoffe Weinheim, Dr. Heinrich Klosterkemper, früherer Generalbevollmächtigten der Mannesmann AG, Rechtsanwalt Ulrich Fischer aus Frankfurt a. M., der zuletzt die Gewerkschaft der Lokführer vor dem LAG Chemnitz vertreten hatte, Dr. Joachim Jahn, Redakteur im Wirtschaftsressort der FAZ, der den Korruptionsprozess gegen Peter Hartz vor dem LG Braunschweig als Gerichtsreporter verfolgt hat und Dr. Martin Becker. Einstimmig kam man zu der Auffassung, dass der Betriebsrat nicht als Co-Manager angesehen werden sollte und dass am Ehrenamtsprinzip festzuhalten sei.
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Fazit:

Die Mitbestimmung als deutscher Sonderweg im Arbeitsrecht funktioniert, auch wenn die eine oder andere Stellschraube neu justiert gehört.