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Termin für den 19. Mannheimer Arbeitsrechtstag: Mittwoch, 5. März 2025
 
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Bericht 18. Mannheimer Arbeitsrechtstag, 6. März 2024:

»Zeitenwende im Arbeitsrecht?«

Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Arbeiten im Homeoffice wird zur Regel, und Künstliche Intelligenz ersetzt Routinearbeiten. Während manche Arbeitgeber händeringend nach Fachkräften suchen, sind andere durch Krisen und Kostendruck zum Personalabbau gezwungen. In Tarifverhandlungen werden Forderungen erhoben, die früher undenkbar waren: 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich bei der Bahn oder die 4-Tage-Woche in der Industrie. Viele Probleme dieser „Zeitenwende im Arbeitsrecht“ diskutierten die 150 Teilnehmer des 18. Mannheimer Arbeitsrechtstags unter der Leitung von Professor Dr. Frank Maschmann (Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Universität Regensburg). Wie jedes Jahr gelang es den Referentinnen und Referenten, die Anwesenden aus Unternehmen, Kanzleien und von Verbänden mit spannenden Themen zu fesseln.
Die Arbeit im Homeoffice gehört heute für viele zur Normalität. Was in der Ausnahmezeit der Corona-Pandemie weitgehend ungeregelt begann, wirft als „New Normal“ schwierige Rechtsfragen auf. Dr. Carmen Freyler (Universität Augsburg) betonte gleich zu Beginn ihres Vortrags, dass es nach derzeitiger Rechtslage keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Beschäftigung im Homeoffice gebe. Ein solcher müsse einzel- oder kollektivvertraglich (also durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) vereinbart werden. Ein nicht zu unterschätzendes Problem der Arbeit im Homeoffice sei die Entgrenzung der Arbeit, weil es dort keine klare Trennung mehr zwischen Beruflichem und Privatem gebe. Daher werde auf europäischer Ebene ein „Recht auf Nichterreichbarkeit“ diskutiert. Für einen solchen Vorstoß bestehe nach Ansicht der Referentin keine Notwendigkeit, da sich ein derartiges „Recht“ bereits aus geltendem Gesetz ergebe. Entgegenstehende Vereinbarungen seien nichtig. Auch die Gewerkschaftsarbeit stehe vor Herausforderungen. In Zeiten des Homeoffice habe das Schwarze Brett als Werbeplattform ausgedient. Stattdessen werde über ein „digitales“ Zugangsrecht der Gewerkschaften nachgedacht. So habe die Gewerkschaft von einem bekannten Sportartikelhersteller die E-Mail-Adressen aller Beschäftigten verlangt, um ihnen auf elektronischem Wege Gewerkschaftswerbung zuzuschicken. Hier sieht Freyler den Gesetzgeber in der Pflicht. Aufgrund der Grundrechtsrelevanz sowie zahlreicher Berührungspunkte mit der DSGVO sei es dessen Aufgabe, ein solches Zugangsrecht rechtssicher auszugestalten. at24_freyler
at24_bayer Für viele Beschäftigte heißt es nun aber wieder: zurück in den Betrieb. Nach aktuellen Umfragen würden rund 34 % der Büroangestellten, die ihren Hund nicht mitbringen dürfen, deshalb ihren Job wechseln. Vor diesem Hintergrund informierte Rechtsanwältin Theresa Bayer, LLM HRM (Regensburg) von der Unternehmensberatung Deloitte über die diffizilen Rechtsfragen, die sich beim Thema „Hund am Arbeitsplatz“ stellen. Bei der Betrachtung sei zwischen „Haustierhunden“ und Assistenzhunden gemäß § 12e Abs. 3 S. 1 Behindertengleichstellungsgesetz zu unterscheiden. Es bestehe kein gesetzlicher Anspruch auf Mitnahme seines Haustierhundes zum Büroarbeitsplatz. Aus dem Weisungsrecht des Arbeitgebers resultiert lediglich ein Anspruch auf eine fehlerfreie Ermessensentscheidung, bei der die Interessen des Arbeitgebers gerecht gegen die des Arbeitnehmers abgewogen werden müssten. Im Falle eines Haustierhundes würden die überwiegenden Gründe gegen ein Recht auf Mitnahme sprechen: störendes Bellen, unangenehme Gerüche, Angst der Kollegen vor Hunden usw. Dagegen bestehe ein Mitnahmerecht für Assistenzhunde in öffentlicher rechtlicher Hinsicht für Räumlichkeiten des allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehrs. Für Büroarbeitsplätze gelte dies aber nicht, diese seien meist keine Räumlichkeiten des allgemeinen Publikums- und Benutzungsverkehrs. Wird die Mitnahme des Hundes gestattet, sind Fragen rund um die Haftung für Schäden am Arbeitsplatz unvermeidbar. Spannend ist hierbei insbesondere der Haftungsausschluss gemäß § 833 S. 2 BGB für Assistenzhunde. Diese dienen mittelbar dem Naturalunterhalt der Person und seien daher als „Nutztiere“ zu qualifizieren. Die Beweislast für die Haltung als Nutztier trüge in diesem Falle der Arbeitnehmer.
Anschließend widmete sich Dr. Mario Eylert (Vorsitzender Richter am BAG a.D.) aktuellen Fragen des Arbeitszeitrechts. Geprägt durch öffentliches Gefahrenabwehrrecht (ArbSchG, ArbZG), wird dieses nun ganz im Sinne der Zeitenwende durch einschlägige Judikate des EuGH und BAG bestimmt. Eylert skizzierte den Referentenentwurf des Bundesarbeitsministers zur Arbeitszeiterfassung. Dieser verlange – jedenfalls im Grundsatz – eine elektronische Arbeitszeiterfassung jeweils am Tag der Arbeitsleistung für alle Arbeitnehmer. Die Zeiterfassung könne aber auf Dritte und sogar auf den Arbeitnehmer selbst delegiert werden. Die Chance zur notwendigen Reform des Arbeitszeitrechts sei allerdings vertan worden. Im derzeitigen Entwurf sei kein Konzept erkennbar, wie die neue Arbeitswelt arbeitszeitrechtlich begleitet werden soll. Die wichtige Frage, was genau als Arbeitszeit zu werten oder wie mit kurzzeitigen Unterbrechungen in der Ruhezeit umzugehen ist, bliebe weiterhin offen. Der Entwurf würde notwendige Flexibilisierungsspielräume im Arbeitszeitrecht einschränken. Wie viel „mehr Bürokratie“ mit dem Referentenentwurf verbunden sei, bleibe abzuwarten. at24_eylert
at24_spelge Am Nachmittag fesselte Karin Spelge (Vorsitzende Richterin des Sechsten BAG-Senats) den Saal mit ihrem Beitrag zur Massenentlassung. Solche rechtssicher zu erklären, sei nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, und daran werde sich trotz der von ihrem Senat angekündigten Änderung der Rechtsprechung so schnell auch nichts ändern. Denn der Zweite BAG-Senat ist anderer Ansicht. Er hält eine ohne formal korrekte Massenentlastungsanzeige erklärte Kündigung für nichtig. Dagegen meint der Sechste Senat, dass das Fehlen oder die Fehlerhaftigkeit der Massenentlastungsanzeige keine Auswirkung auf die Beendigung eines gekündigten Arbeitsverhältnisses habe. Es sei Sache des Gesetzgebers, eine „Sanktion“ für Fehler im Anzeigeverfahren bei Massenentlassungen zu normieren. Der Sechste Senat hatte deshalb beim Zweiten Senat angefragt, ob er an seiner Rechtsprechung festhalten wolle. Der Zweite Senat hat daraufhin den EuGH um Klärung angerufen. Spelge beklagte, dass es keine Verständigungsmöglichkeit zwischen den Senaten gebe. Überdies hält sie das Vorabentscheidungsverfahren in einem Rechtsstreit innerhalb desselben Gerichts für unstatthaft.
Im anschließenden Referat skizzierte Dr. Johannes Götz (Bayer. Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales) die neuen Spielregeln im Umgang mit “Whistleblowern“. Nach langem „Hin und Her“ sei im Juli 2023 das Hinweisgeberschutzgesetz in Kraft getreten. Leider bereite die korrekte Anwendung der Vorschriften manches Kopfzerbrechen, wie etwa die Einrichtung der Meldestelle für Hinweise. Während die Einrichtung einer zentralen Konzernmeldestelle für § 14 Abs. 1 HinSchG wegen der Trennungslösung im deutschen Konzernrecht ausreichen würde, dürfte dieses Vorgehen auf europäischer Ebene nicht standhalten. Der rechtssichere Weg sei daher, eine zentrale Konzernmeldestelle mit lokalen Ablegern zu schaffen. Darüber hinaus sah ein früherer Gesetzesentwurf die Einrichtung anonymer Meldekanäle verpflichtend vor. Nun stellt § 16 Abs. 1 S. 4, 5 HinSchG dies letztlich unter einen Freiwilligkeitsvorbehalt. Laut Götz würde die Meldebereitschaft allerdings sinken, wenn der Hinweisgeber seine Identität stets offenbaren müsste. Anonyme Kanäle seien in Hinweisgebersoftware meist ohne Mehraufwand enthalten und daher dringend zu empfehlen. Den Hinweisgeberschutz dürfe man nicht als bürokratisches Monstrum verteufeln, sondern müsse ihn als Chance begreifen, Rechtsvorschriften wirksam einzuhalten. at24_goetz
at24_binder Zum Abschluss zeigte Rechtsanwalt Ralph Binder aus Passau auf, wie künstliche Intelligenz die Rechtsberatung in Zukunft verändern wird. Neben der Industrie erlebe auch die Rechtsdienstleistungsbranche einen Anpassungsdruck. Legal Tech wie digitale Dokumentenverwaltung, das elektronische Anwaltspostfach sowie juristische Fachdatenbanken zur Rechtsrecherche unterstützen dabei, Rechtsdienstleistungen effizienter anzubieten und mehr Menschen zugänglich zu machen. Durch künstliche Intelligenz und „smart contracts“ würden nun nicht nur einzelne Arbeitsschritte automatisiert. Vielmehr werde der vermehrte Einsatz von KI-Anwendungen das Berufsbild des Anwalts grundlegend verändern. Es bedürfe daher neuer Strategien und Fähigkeiten im Umgang mit KI. Die Integration von KI in bestehende Beratungsstrukturen sei unerlässlich, um sich auf dem Rechtsmarkt durchzusetzen. Dennoch werde die Rechtsberatung im Kern stets ein „people business“ bleiben. Die Anwaltschaft müsse aber dringend den technischen Fortschritt aufmerksam beobachten und sich neue Kompetenzen aneignen: „Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit“.
Fazit: Die Zeitenwende im Arbeitsrecht ist in vollem Gange. Traditionelle Arbeitsmodelle geraten durch den technologischen Wandel unter Druck. In Zeiten des Fachkräftemangels stehen die Arbeitnehmerrechte im Vordergrund. Gleichzeitig müssen deutsche Unternehmen innovative Lösungen finden, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Die Zeitenwende im Arbeitsrecht erfordert daher einen innovativen Gesetzgeber, der ein ausgewogenes und gerechtes Arbeitsrecht für alle Beteiligten schafft.
Benjamin Glauberman, Mannheim